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Rosegger, falsch gesehen

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Mehr als siebzig Jahre lang hat Peter Roseggers Waldschule, für die der steirische Dichter mit großem Einsatz kämpfte, ihrem eigentlichen Zweck gedient. Seit dort infolge Schülermangels nicht mehr unterrichtet wird, ist man am Alpl darangegangen, in dem Haus ein Wanderund Schulmuseum, sowie eine weitere Rosegger-Gedenkstätte einzurichten.

Auf das im Frühjahr eröffnete Wandermuseum ist man mit Recht stolz, handelt es sich doch

um das erste der Welt. Kustos Berti Petrei, Volkskunde-Professor aus Klagenfurt, hat mit Liebe und System verschiedene Dokumente aus der Geschichte der Wanderbewegung zusammengetragen, und angefangen von den fahrenden Gesellen und Wallfahrern bis zu den Teilnehmern der heutigen Volkswänderungen reichen die Vorbilder einkehrender Wanderer.

Die „Waldheimat", ursprünglich ein Buchtitel Roseggers, aber schon 1907 auf Freytags Wanderkarte als Landschaftsbezeichnung zwischen Krieglach und St. Kathrein am Hauenstein eingetragen, zieht nach wie vor Besu-

cherscharen an, die einen Ausflug mit der Besichtigung von Geburtshaus, Waldschule oder Sterbehaus des Dichters verbinden wollen. Ein Zeichen dafür, wie stark Rosegger heute noch im Bewußtsein der Bevölkerung verankert ist. Bei genauerer Betrachtung stellt man jedoch fest, daß auf den verschiedenen Gedenkaltären einer Legende geopfert wird. Sie gilt dem Waldbauernbu-ben. *

Das Kind eines Bergbauern, das, aus ärmsten Verhältnissen stammend, dank seines Talents ein erfolgreicher Schriftsteller und schließlich zum Wohltäter wurde, vereinigt die Sympathien der Nachwelt auf sich - nicht aber der Autor von „Jakob der Letzte", „Erdsegen" oder des religiösen Bekenntnisses „Mein Himmelreich".

Peter Rosegger mußte es sich posthum gefallen lassen, von den Nazi-Ideologen vereinnahmt zu werden, was bei seiner um Bauernstand, Heimat und Treue kreisenden Thematik nicht verwun-

derlich ist. Es weist aber auch auf die Sackgasse hin, in welche die Rosegger-Rezeption nach 1945 geriet.

In den verschiedenen Literaturgeschichten wird er nur noch peripher behandelt, Vorwürfe tauchen auf, die ihn der Naivität und angeblichen Schulmeisterei zeihen. Er sei reaktionär und fortschrittsfeindlich, tönt es aus dem „progressiven" Lager. Uberall aber vermißt man die Bereitschaft, sich mit dem Gesamtwerk auseinanderzusetzen. Die Mundartdichtung und die kleinen Geschichten aus Kindheit und Jugend sind seit Roseggers Lebzeiten überproportional hervorgehoben worden.

Es wäre an der Zeit, den sozialkritischen Romanen cjes Autors erhöhtes Augenmerk zuzulenken. Für sie zu werben, hat Verleger Staakmann bei der Neuausgabe der Werke versäumt.

Peter Rosegger schildert in seinen Romanen auf sehr realistische Weise die Zustände, die im vorigen Jahrhundert einen Groß-

teil der Bevölkerung unserer Heimat betrafen. Seine Landschaftsbeschreibungen sind in ihrer Intensität mit jenen des Norddeutschen Theodor Storm vergleichbar.

Rosegger erweist sich aber nicht nur als minutiöser Maler der Wirklichkeit, sondern er zeichnet sich durch ein waches soziales Bewußtsein ausj Der historische Hintergrund für den Roman „Jakob der Letzte" jst der Niedergang von etwa 50.000 Bauernhöfen im Gebiet der Steiermark. Rosegger versuchte die Ursachen für die Landflucht zu erfragen und warf dem Staat vor, die Bauern steuerlich auszulaugen, ohne sie als Gegenleistung zu schützen. Als einen Hauptgrund erkennt er auch die mangelnde Solidarität der Bauern untereinander.

Im „Erdsegen" läßt er den Sonntagsknecht, einen „Aussteiger" aus der Stadt, ein Mädel heiraten, das ein anderer sitzengelassen hat — da ist schon einige Kritik an ländlicher Moralanschauung, aber auch an städti-

scher Lebensart verpackt. (Daß das Kind des Vorgängers bei der Geburt sterben muß, ist wohl ein unbewußtes Zugeständnis Roseggers an ebendiese Moralbegriffe.)

Worum es geht ist nicht, ein Idol zu entthronen oder Biographisches aus dem Bewußtsein der Leser zu verdrängen. Es geht vielmehr darum, einen bedeutenden Dichter auf den Platz zu rücken, der ihm zusteht — und zwar auf Grund seines Gesamtwerkes und nicht nur eines geringen Teils davon.

Diese Aufgabe hätten an erster Stelle die Verleger wahrzunehmen, in hohem Maße aber auch die Hüter jener Rosegger-Ge-denkstätten, die eingangs erwähnt wurden und die so viele Besucher anziehen. Charlotte Änderte, Betreuerin des Sterbehauses in Krieglach und Autorin eines Rosegger-Buches und Berti Petei, dessen Wandermuseum in der ehemaligen Waldschule auch eine „Gedenkklasse" und ein Ros-eggerzimmer beherbert, sollten es sich.zur Pflicht machen, den Waldbauernbuben in seiner wahren Natur darzustellen, also auch als einen Kritiker der Gesell-" schaft. Nach diesem Prozeß würde man endlich einen Peter Rosegger vor sich haben, über dessen Werk und aktuelle oder besser gesagt zeitlose Thematik sich nutzbringend diskutieren ließe.

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