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WAND AN WAND MIT PETER ROSEGGER

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„Haare Peter Roseggers vom 6. Juli 1917, gespendet vom Friseur Hr. Hans Rüokert.“ Der Krieglacher Friseurmeister hat kaum ahnen können, welche Empfindungen er mit den schlohweißen Haarbüscheln des Dichters nach fast fünfzig Jahren auslösen wird.

Fröstelnd drehe ich das Licht an im ersten Stock der Rosegger-Villa in Krieglach. Ich suche das Gästezimmer, das mir die steiermärkische Landesregierung, als Verwalterin des Hauses, zur Verfügung gestellt hat. Die Hand noch am Schalter, hält ein merkwürdiges Bild, das unmittelbar neben dem Schalter angebracht ist, meinen Blick gefangen: Auf dunklem Grund sind weiße Haare Peter Roseggers gelegt, gepreßt, eingerahmt und mit der eingangs erwähnten Unterschrift versehen.

Seltsam. Wie sie silbern glänzen, die Haare, wie sie harmonisch auf dem Grund angeordnet sind! Wie man zuweilen Blumen des Feldes preßt und ihnen so Dauer verleiht. Das hat er geschickt gemacht, der Herr Rückert, denke ich. Und wie er die aufstrebenden und niedergebogenen Löckchen gegeneinander gelegt hat, wie wenn er im Haarbilde Wesen und Charakter seines prominenten Kunden — das Tätigsein und die Melancholie — hätte festhalten wollen! Der Krieglacher Friseurmeister hat bei seinem Geschäft — den körperlichen Verfall des Dichters wohl schon bemerkend, diese „schimmernden Lockensträhnen“, diese „Eisfäden auf dem Haupte“ — um in der Sprache Roseggers zu reden — fein säuberlich für sich in einem Umschlag aufbewahrt. Ein treuer Diener seines Herrn, hat er so der Nachwelt, den Tausenden Verehrern des steirischen Dichters, die alljährlich aus allen Weltgegenden die Rosegger-Gedenkstätten in Krieglach und Alpl auf suchen, ein unvergängliches Stück des Erdenleibes Peter Roseggers geschenkt. Ein Stück, das die Nähe des Dichters, wie sie aus Haus, Mobiliar und Gegenständen seines Krieglacher Landhauses und auch seines Geburtshauses in Alpl hervortritt, zu einem unauslöschlichen Erlebnis verdichtet.

Die Rosegger-Villa in Krieglach, die der Dichter sich nach seinen eigenen Plänen inmitten eines Parkes im Jahre 1877 aus den Honoraren seines Verlegers Heckenast in Pest — es sollen bei 4000 Gulden gewesen sein — hat bauen lassen, wird vom Volksmund „das Sterbehaus“, im Gegensatz zum „Geburtshaus“ in Alpl, genannt. Rosegger hat seit 1877 alle Sommer im Krieglacher Landhaus verbracht und viele seiner Werke sind hier entstanden. Im Juni 1918, als Rosegger sein Ende nahen fühlte, ließ er sich mit einem Lazarettzug von Graz nach Krieglach überführen. Hier, in seinem geliebten Sommerhaus, nahe seinem irdischen Ursprung, wollte er auch sein irdisches Ende haben.

Rosegger, in dessen Schriften immer wieder das Sterben als etwas so Großes und Entscheidendes dargestellt wird, hatte sich auf diese Stunde wohl vorbereitet. Er starb in der Nachfolge des Pfarrers in Winkelsteg, von dem er in den „Schriften des Waldschulmeisters“ schreibt: „Und ein guter, getreuer Hirt, hat er uns in seiner letzten Stunde noch das Bedeutsamste gelehrt, das Sterben.“ Rosegger hatte sich auch schon Jahre zuvor seine Grabstätte auf dem Friedhof in Krieglach ausgesucht und ihr Aussehen bestimmt: „Das einfachste Grab, wie es jeder Alpler Bauer hat.“

Es ist schon etwas Merkwürdiges, Wand an Wand mit Peter Rosegger zu leben. Die „schimmernden Lockensträhnen“ sind bei Tageslicht, obwohl frisch aussehend, wie wenn sie gestern abgeschnitten wären, doch längst nicht so unvergleichlich glänzend mehr, wie meine nächtliche Phantasie sie mir vor- gegaukelt hat. Die alte Uhr im Arbeitszimmer des Dichters nebenan hat die Nacht über fleißig geschlagen, als ob drüben noch alles beim alten wäre und auch der betagte Dichter noch an seinem Schreibtisch säße. Dennoch, der Geruch nach Vergänglichkeit, der Herrin der irdischen Zeit, ist im ganzen Haus verbreitet, ja sie wird um so unausweichbarer, je mehr liebende Verehrung bemüht ist, alles, Haus und Garten, Tisch und Bett und Schrank und die Gebrauchsgegenstände des Dichters im „ursprünglichen Zustand“ zu erhalten.

Nun kommen schon die ersten Besucher des Tages die Stiege herauf, sachkundig geführt von der Kustodin. Gegen

12.000 Personen sind es, Jahr für Jahr, die hierher pilgern, und im Geburtshaus in Alpl werden oft doppelt so viele gezählt. Ich schließe mich den Besuchern an. Das Arbeitszimmer im ersten Stock ist im Stil der Jahrhundertwende möbliert: Sofa, Schaukelstuhl, ovale Tische mit Stühlen, am Fenster der Schreibtisch mit der Schreiblampe. Die beiden Bücherschränke, mit Butzenscheiben versehen, enthalten Gesamt- und Einzelausgaben von Roseggers Werken sowie vollzählig die Jahresbände seiner Monatshefte, des „Heimgarten“, von 1877 bis 1918. Als besondere Kostbarkeit gelten die „Wiener Lehrermappen“. Zum 70. Geburtstag des Dichters haben gegen fünfhundert Wiener Schulen je ein Gratulationsblatt gestaltet und mit gestochen geschriebenen Unterschriften der Klassenlehrer — bei 6500 — versehen. Jedes Blatt ist vom jeweiligen Zeichenlehrer oder einem begabten Schüler oder einer Schülerin mit Zeichnungen, die zu den Schriften des Dichters in Beziehung stehen, oder auch mit Ornamenten der Zeit (1913) ausgestattet. Kürzlich stand eine alte Dame aus Wien mit Tränen in den Augen vor so einem Blatt, das sie damals als beste Zeichnerin ihrer Schule gestaltet hat.

Das Schlafzimmer, an dessen Wänden ebenso wie über dem Schreibtisch des Arbeitsraumes viele Photographien der Familie und der Freunde, darunter das herrliche Bild des Vaters, Lorenz Rosegger, und die Aufnahmen der beiden Ehefrauen des Dichters, zu sehen sind, ist sehr einfach gehalten. Die Zeiger der Pendeluhr stehen still auf halb zwölf. Sie zeigen die Sterbestunde des 26. Juni 1918 an.

Auf dem Nachtkästchen neben dem schlichten Bett steht das Messingkreuz, davor die herabgebrannte Kerze... In der Ecke beim Fenster lehnt der geliebte Haselstock, von dem Rosegger gesagt haben soll: „Der is so naturgwachsn wiar i!“

Im Parterre des Hauses sind neuerdings zwei Räume als Rosegger-Archiv eingerichtet. Sie enthalten eine Auswahl von Dokumenten aus dem Rosegger-Hauptarchiv im steiermärkischen Landesarchiv in Graz. Wir finden hier seinen als Waldbauernbub geschriebenen Kalender, den „P. K. Ros- egger’s Volkskalender. 1861. Erster Jahrgang. Verlag: Krieglach Alpl Kluppenweg Nr. 18“, und Seiten einer ebenfalls handgeschriebenen eigenen Zeitschrift; sodann reizvolle Aquarelle des „Schneiderpeterls“, Aufgabenblätter des Handelsakademikers in Graz, den berühmten Aufruf seines Entdeckers Dr. Svoboda in der „Grazer Tagespost“, zahlreiche Diplome und Ehrenurkunden literarischer Gesellschaften des In- und Auslandes. Eine Eisenbahnkarte Europas, in die der Dichter alle seine Fahrten mit Rotstift eingezeichnet hat, ist sehr aufschlußreich. Einige der zum 60. und zum 70. Geburtstag des Dichters eingelangten zahlreichen Glückwunschtelegramme und -briefe sind ausgelegt, so beispielsweise von Ludwig Anzengruber, Gustav Freytag, Marie Ebner-Eschen- bach, Karl Schönherr, Wilhelm Raabe, Karl May, Theodor

Storm und anderen. Besonders witzig ist der Wortlaut eines Telegrammes von Wilhelm Kienzl und seiner Gattin:

„Heil Dir Rosegger Feldbodenegger Fabelaushecker Her- zenserwecker Lebensbrotbäcker:“

Und Gerhart Hauptmann schreibt aus Agnetendorf im Riesengebirge, datiert vom 1. Juli 1903:

„Wer im Volkstum wurzelt und aus dem Volkstum blüht, der ist ein gesunder Baum: so einer bist Du, Peter Rosegger! Sei es Dir vergönnt, Deine Wurzeln immer tiefer in den Heimatgrund zu versenken und die deutsche Seele durch das Wachstum Deiner Zweige immer höher hinein verbreiten zu helfen in den reinen Raum ..

Einige Tage später stehe ich wieder im Arbeitsraum. Ich sehe zum Fenster hinaus. Dunkle Wolken stehen am Himmel, die Weißbirken vor dem Fenster werfen ihre Blätter ab, einige weht der Wind herüber ans Fenstersims ein merk würdiges Zeichen“ nannte Rosegger das Phänomen, „welches am Morgen des 13. Juli 1899, genau um die Stunde seines (des Freundes Robert Hamerling) Todes geschehen ist... Auf dem Tisch lag neben anderen Büchern Hamerlings neues Buch .Stationen meiner Lebenspilgerschaft1, das er mir noch wenige Tage früher zugeschickt hatte ..Der Dichter schildert sodann, wie der Wind zu jener Stunde fast alle Birkenblätter abgeschüttelt hat und einzelne Blätter zum offenen Fenster hereingetragen wurden, und wie der Wind jene Seite des Hamerlirigschen Buches aufschlug, „wo von jenem Siegelring mit dem Talisman die Rede ist“, von jenem Siegelring, den Hamerling testamentarisch seinem Freunde Peter Rosegger vermacht hat.

Die Zeit ist stehengeblieben hier. So scheint es. Wie in früheren Zeiten das „lebende Bild“ nach einem Stück der Vereinsbühne noch einmal das Ensemble in der erstarrten Gebärde des höchsten Augenblicks festhielt, so erscheint der Sommer Peter Roseggers, der letzte Sommer des 74jährigen, in seinem Krieglacher Landhaus stehengeblieben zu sein: schlohweiße „schimmernde Lockensträhnen“, auf dunklem Grund...

„Und unsichtbar steigt er in Winkelsteg herum, Tag und Nacht, und zu jeder Stund!...“ schrieb der Dichter von seinem Waldschulmeister, in den er so viele autobiographische Züge eingezeichnet hat.

Ja, er lebt, der alte Herr! Nicht nur im Gedächtnis einiger Alten von Krieglach, die ihn aus ihrer Jugendzeit noch gut kannten und mit denen der Dichter auf seinen Spaziergängen plauderte. Sein Geist ist lebendig, er ist so tief im Volke verwurzelt, wie bei kaum einem anderen österreichischen Dichter. Die Tausende, die sommers zu den Rosegger-Gedenkstätten pilgern, sie wollen etwas von diesem Geist hineinnehmen in das hektische Weltgetriebe. Sie suchen den Weg zum Frieden des Herzens, den Rosegger als das Lebensziel gepriesen hat.

„Ich möchte nur noch gern ein bißchen helfen können auf dieser Welt“, hatte Rosegger, der schon zu Lebzeiten Hochgeehrte, einem Besucher in seinem letzten Krieglacher Sommer gesagt.

Sein Wunsch ist reichlich erfüllt worden.

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