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Peter Roseggers Sprache Deutsche Klassik

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Bei der neuerlichen Lektüre der Erzählungen Peter Roseggers weitet sich das Bewußtsein. Ein Ele­ment rückt ins Licht, das uns, Auto­ren erzählender Prosa, über Zeiten und Räume hinweg - und also auch mit Peter Rosegger - verbindet. Die Beschäftigung mit dieser Frage führt zu einem Punkt, an dem die Eigenart des Talents, vielleicht des Genies, von Rosegger zu orten ist, wie nicht anders zu erwarten in je­nen Momenten der künstlerischen Arbeit, in denen sich das Instinkti­ve mit dem Bewußtsein berührt. Das Ergebnis wird in der Sprache faßbar.

Roseggers Prosa wurde und wird von einer breiten Leserschaft als einfach, volkstümlich und ergrei­fend, von den Ästhetikern der modeinen Kunstprosa allerdings we­niger geschätzt. In diesem Befrem­den kommen ein zeitbedingter Ge­nerationskonflikt, ein verallgemei­nerndes Werturteil und ein Irrtum zum Ausdruck.

Zum ersten: Autoren, die, wie Rosegger, im Jahre 1843 geboren und dem Publikum 1864 vorgestellt worden waren, mußten von den Schriftstellern der nächsten Gene­ration, die im Begriffe waren, ihre eigene Geltung hervorzuheben, zum alten Eisen geworfen werden, wel­che Geste in diesem Falle durch jene literarische Zeitenwende, die die Moderne aufkommen ließ, frei­lich noch mehr erleichtert wurde. Im Jahre 1864 wirkten noch dieje­nigen gesellschaftlichen Kräfte, die - teils in Erinnerung an die natio­nalen Leidenschaften der Napoleo­nischen Kriege und an die Ideen des Revolutionsjahres 1848, teils von jener gesellschaftskritischen Sach­lichkeit erfüllt, die den Naturalis­mus hervorbringen sollte - das Hervortreten sogenannter „Natur­dichter" begünstigten, und zu die­sen wurde mit einigem Recht auch Peter Rosegger gezählt. Die Be­zeichnung traf wohl die Herkunft seiner Sprachkunst, die Lebensrol­le, die er spielte und darstellte, auch den Begriff, der zur Zeit der allge­meinen Industrialisierung in den Mittelpunkt einer nostalgischen Sehnsucht rückte, nicht aber das Wesen Roseggerscher Epik - doch darüber später.

Das verallgemeinernde Wertur­teil indessen wandte sich gegen die „Widerspiegelung der Welt" im Namen der „Neuschöpfung der Welt", gegen die „Natur- und Lebensschilderung" im Namen der „Stilisierung", gegen den „schlich­ten Bericht" im Namen der „Bele­bung durch die Idee", letztlich auch gegen das „Volkstümliche" im Namen des Artifiziellen. Solche scharfen Abgrenzungen werden jedesmal ins Spiel gebracht, sobald die eigene Identität nicht mit Si­cherheit gefunden und definiert, sondern erst durch eine Geste des Fanatismus zum Selbstgefühl und Selbstbewußtsein verdichtet wer­den kann.

Der Irrtum, der zum Generations­konflikt und zur Verallgemeinerung als drittes Element hinzukam, be­traf und betrifft Peter Roseggers Sprache und damit das Wesen sei­ner Epik. Diese ist an ihren Höhe­punkten nicht das Werk eines „Naturdichters", sondern eines Autors, der in jenen Augenblicken und Stunden der Arbeit, in denen Ihspiration und bewußter Formwil­le ineinanderfließen, um die höch­ste Genauigkeit des Ausdrucks -damit aber auch um ihre lichteste und geheimnisvollste Poesie -kämpft. „Wir alle kommen aus Gogols Mantel", hat Dostojewski gesagt, und mit demselben Recht müßten wir, österreichische Erzäh­ler, zugeben müssen: „Wir alle kommen aus dem .Nachsommer' Adalbert Stifters." Auch Rosegger hat, auf seine Art, Stifters Sprach­lichkeit weitergeführt.

Einige Beispiele genügen, um Roseggers Methodik, die sowohl instinktiv wie bewußt ist, zu be­greifen. Sie stammen alle aus der kurzen Erzählung „Allerlei Spiel­zeug", das als drittes Prosastück der bekannten Sammlung „Als ich noch ein Waldbauernbub war" einer breiten Leserschaft bekannt ist. Das Thema selbst führt freilich auf ein Gebiet, das keine morali­sche Belehrung, sondern pure Dar­stellung fordert und damit den inneren Weg jenen Seelenkräften öffnet, die im Sinn des L'art pour l'art mit dem Gegenstand spielen wollen. In diesem Spiel allerdings liegt wohl die einzige Möglichkeit, das Thema Spiel künstlerisch zu bewältigen.

„Ich habe als Kind mir meine Welt, die von Natur höllisch klein war, auseinandergedehnt", mit diesem Halbsatz, der die Erinne­rungen einleitet, wird eine elemen­tare Regung zum Ausdruck ge­bracht, deren Heftigkeit durch das Beiwort „höllisch" gleichsam mit zuckenden Flammen beleuchtet wird, deren Realität aber zugleich als poetisch - das heißt in diesem Falle nicht aus der Erinnerung ab­geleitet - betrachtet werden muß, denn den meisten Kindern ist die „Kleinheit" ihrer Welt nicht ge­genwärtig. Die Erklärung des Er­zählers grenzt an eine literarische Konstruktion, bringt eine viel spä­ter erkannte Kraft, eine als glaub­haft annehmbare Hypothese zur Wirkung. Es handelt sich um einen Kunstgriff.

Nun wird eine alte Holzfäller hütte in einem ebenen Waldstück vorgestellt, dem Kinde anheimelnd seit dem Tag, an dem es hier mit dem Knecht Karten gespielt hatte. „Mir war dieser Bau", schreibt Rosegger, „unheimlich gewesen bis zu jenem Tage, da mich und unse­ren Knecht Markus im Walde ein scharfer Wetterregen überraschte und wir uns in die Hütte flüchte­ten." Die beiden spielen nun, „bis draußen die nassen Zweige funkel­ten und die helle Sonne zum Fen­ster hereinschien".

Man setze nun die drei Sprach­bilder - den „scharfen Wetterre­gen", das Funkeln der „nassen Zweige" und zugleich das Licht der „hellen Sonne", die - offenbar lan­ge nach der Mittagsstunde - „zum Fenster hereinschien". Bereits das Wort „Wetterregen", mundartlich gesichert und an der gewählten Stelle zugleich artifiziell, enthält Magisches; seine „ Schärfe " evoziert das Gefühl von Heftigkeit und Kür­ze, aber auch das graumetallene Blinken eines breiten Messers. Die­ses Licht wandelt sich zum Fun­keln der nassen Zweige, das im Schein der hellen Sonne plötzlich erstrahlt. Man mag das Sprachbild Roseggers - dessen aus Genauig­keit gewonnene Perfektion - als Hervorbringung eines instinktiven Talents bewundern, doch ist solche Naivität einer vermeintlichen Nai­vität gegenüber angesichts der nächsten Passage gewiß nicht am Platze.

In dieser baut sich das Kind aus den Blättern eines Buches „die große Weltstadt Paris" auf und kommt nun zum tätigen Spielen mit dem Halbsatz: „Als der Tisch voll ge­worden war und ich trunkenen Blickes hinschaute auf die vieltür-mige Stadt und ihre belebten Gas­sen, die ich gegründet und wie ein Schutzgeist beschirmte, dachte ich: ..." Das Bild von der vermeintli­chen „Kleinheit" der Kinderwelt wird hier weitergeführt durch die nachträgliche Interpretation, die, uns allen vertraut, ins Archetypi­sche reicht: Begründer und zugleich Schutzgeist einer selbst errichte­ten, leicht beherrschbaren eigenen Welt zu sein, die in diesem Fall - es handelt sich um ein Element der mittelalterlichen Gelehrtensprache - aus einer vieltürmigen Stadt be­steht, weitet das Selbstgefühl. Deshalb betrachtet der Kleine „die große Weltstadt Paris" nicht ver­wundert oder geängstigt, sondern -der Drang der Genauigkeit stößt abermals ins Artifizielle - „trunke­nen Blickes".

Noch in derselben Erzählung lüftet Rosegger übrigens das Ge­heimnis seiner Sprache. Er berich­tet über sein erstes Leseerlebnis „ im grünen Grase": „Ein Buch, ein see­lenvolles Buch genießt man dort ganz aus und gedeiht dabei."

Ähnliche Beispiele ließen sich in vielen anderen Prosastücken dieses angeblichen „Naturdichters" fin­den, allerdings gibt es im Geflecht der Erzählungen zuweilen freilich auch Absätze und ganze Seiten, die den Sprachfluß nicht verdichten, sondern einer vorübergehenden Schwäche des Arbeitsvorgangs verfallen, das heißt: die auf Genau­igkeit dringende Form durch das fertige Klischee ersetzen. Selbst die geschliffene Prosa Gustav Flau­berts, ja die auf funkelnde Augen­blicke konzentrierte, Erinnerungen evozierende und gestaltende, sich als souveränes Kunstwerk aus der Phantasie lösende Sprachlichkeit Marcel Prousts ist von solchen Rückfällen ins Schemenhafte nicht frei: Dari;^ liegt keine Entschuldi­gung der Folgen künstlerischer Ermattung, wohl aber der Beweis dafür, daß Peter Roseggers Werk mit der Prosa der besten und sub­tilsten Erzähler verglichen werden kann - und das auch sollte.

Wenn wir aber danach fragen, was in solchen Augenblicken des Arbeitsprozesses tatsächlich vor sich geht, so bleibt uns nichts ande­res übrig als die Antwort metapho­risch zu formulieren. Die Wirklich­keit läßt sich in diesem Fall nur als etwas Transzendierendes fassen. Denn es ist die Stimme der Seele, die in solchen Sekunden erklingt, zur Sprache und zur Schrift wird, und vielleicht ist es allein das selbst­verständliche Gefühl, eine Seele zu besitzen, ja vor allem diese Seele zu sein, das den Autor zwingt, einer­seits die staunenden Erfahrungen dieser Seele während ihres Verwei­lens in der als materiell empfunde­nen Wirklichkeit darzustellen, andererseits aber im Körperlosen zu verharren, nämlich in der Sprachlichkeit, die Hauch und Musik ist, Rhythmus und - in ihrer unhörbaren Erscheinungsform -eine unentwirrbare Einheit von aufkommenden, herbeigesehnten oder auch herbeigezwungenen, aber auch in diesem Fall flüchtigen Empfindungen und Gedanken -nur selten die Ergebnisse eines blit­zartigen Begreifens. In der Prosa Peter Roseggers ist die Sprache der Seele immer wieder zu vernehmen.

Deshalb bleibt sein Beispiel für uns, Autoren erzählender Prosa der Gegenwart, nicht nur lehrreich, ja, was die Geheimnisse der Kunst -oder, bescheidener gesprochen, unserer Kunstfertigkeit - betrifft, richtungweisend, sondern in einer ganz bestimmten Art bezaubernd. Sobald wir, nach Zeiten des Zwei­feins, die Analogien zwischen Poe­sie und Religion wieder einmal ent­decken, vermag uns - bei Ertönen der Engelsprache der Seele - Peter Roseggers Sprachlichkeit über den Augenblick des Staunens hinweg­zuhelfen: Siehe da, vielleicht ist es doch keine Halluzination!

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