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Um Peter K. Rosegger

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Nein, es handelt sich um kein „Jubiläum", wenngleich der Dichter im abgelaufenen Jahr seinen 110. Geburtstag hatte. Es handelt sich vielmehr um die Tatsache, wie sehr sein heben und noch mehr sein Wirken immer wieder die Geister bewegt; und auch in Hinkunft bewegen wird. Denn dieser stille Mann „aus einer untergegangenen Welf" hat uns gerade heute, zumal im Ringen um den äußeren und inneren Frieden viel zu sagen.

Vor mir liegt ein Werbeblatt des Verlages Hermann Böhlaus Nachf., dem man entnehmen kann, daß die Briefsammlung von Otto Janda „Peter Rosegger, das heben in seinen Briefen" seit 1948 in einer zweiten, erweiterten Auflage vorliegt, daß weiter der erste Band der Rosegger- Biographie von Rudolf E a t z k e, betitelt „Der junge Rosegger", seit Jahren Völlig vergriffen ist und dringend einer Neuauflage bedarf, für die der Verlag um Abnehmer wirbt, und daß vor kurzem der zweite Band dieser Biographie „Der ältere und der alte Rosegger" erschienen ist. Er umfaßt VIII und 527 Seiten, zusammen mit dem ersten Band 874 Seiten (Preis 98 S) I Ein erfahrener Bibliotheksdirektor sagte mir, daß es in den letzten Jahrzehnten keinen Dichter gebe, dem eine so ausführliche und dabei so vorbildlich gewissenhafte, auf bisher unerschlossenen Quellen aufgebaute Untersuchung seines Schaffens zuteil geworden wäre.

Es mußte einen ergreifen, wenn man sah, wie der greise Wiener Hofrat und Pädagoge Dr. Rudolf Latzke, der diesem Werk einen Großteil seines hebens gewidmet hatte, bis in seine letzten Tage über den Korrekturbogen des zweiten Bandes tätig war und wie et zwar noch die ganze Korrektur selber besorgen, aber den fertigen Band nicht mehr schauen durfte. Im Jänner 1952 hat ihm der Tod die Feder aus der Hand genommen.

Wir sehen die Bedeutung der Biographie in der unübertrefflichen Sorgfalt, in der Andacht zum Kleinsten und in der peinlichen Genauigkeit, die alles aus Roseggers Werken, Tagebüchern, Briefen und aus Hunderten von Aufsätzen zusammenträgt, die er selber im Taufe seines hebens geschrieben hat und die über ihn im In- und Ausland geschrieben worden sind. Wir sehen sie weiter im Aufbau der Darstellung, die das ohnehin bekannte heben des Dichters auf engsten Raum zusammendrängt, um dafür sein Schaffen um so ausführlicher zu behandeln. Es geschieht dies in der Weise, daß Roseggers Wirken und alle seine Werke jeweilig im Hinblick auf die großen Zeitfragen betrachtet werden. So seine Bekenntnisschriften und sein Christusroman I. N. R. I. unter den religiösen, die Romane „Jakob der hetzte", „Das ewige Licht", „Erdsegen" und „Weltgift" unter den sozialen, das „Volksleben in Steiermark" und die Darstellungen einzelner Volksgestalten unter den volkskundlichen Zeitfragen usw. Das ergibt zusammen mit den zahllosen und ausführlichen Auseinandersetzungen mit den Zeitgenossen ein so bedeutsames Bild der geistigen Epochen, daß in Hinkunft keine Untersuchung der österreichischen Geistesund Kulturgeschichte für die Zeit von 1840 bis 1920 an dieser Biographie wird vorübergehen können. Man wird bei diesem Studium nicht wenige Ueberraschungen erleben und eine Fülle von neuen Erkenntnissen und bisher übersehenen Tatsachen gewinnen, die nicht nur auf die jeweilige Epoche, sondern auch auf die behandelten Roseggerschen Werke recht oft ganz neue Eichter werfen.

Um aus Dutzenden nur eine Frage herauszugreifen, die unsere Eeser besonders berühren dürfte, sei hier nur auf das Verhältnis Roseggers zum Katholizismus mit einigen Worten hingewiesen. Daß der Bauernsohn der Waldheimat zeitlebens einen unerschütterlichen Gottesglauben besaß, daß er von einer heißen und tiefen hiebe zu Christus und der Muttergottes erfüllt war, konnte schon bisher kein ernster Eeser seiner Schriften bezweifeln. Aber Eatzke berichtet uns da noch mehr. Wir erfahren von ihm — der ohne weiteres zugibt, daß Rosegger „nicht immer objektiv" zur Kirche stand — eindeutig, daß Spannungen, die hier nicht selten bestanden, nicht nur dem Dichter, sondern recht oft „jenem Verständnis-, geist- und liebearmen Bürokraten" im damaligen Klerus angelastet werden müssen, die ihn in einer wenig christlichen Weise oft vorschnell verurteilt haben. So hat man ihm seine Sammlung für die evangelische Heilandskirche in Mürzzuschlag schwer verübelt, wiewohl es im immer mehr industrialisierten Mürztal schon damals sehr viele Evangelische gab, die einer Kirche sehr bedurften. Daß Rosegger dabei im Sinne der Una sancta durchaus versöhnlich gedacht hat, beweist u. a. seine Bedingung, daß in dieser Kirche das Bild von Defregger mit der Darstellung der Heiligen Familie aufgestellt werden mußte. Der „Los-von-Rom-Bewegung" ist Rosegger niemals Freund gewesen, vielmehr hat er sie, besonders in späteren Jahren, recht scharf abgelehnt. Ergreifend ist da ein Brief Ottokar Kernstocks vom Oktober 1910, aus dem zwar wohl die zeitweilige Sorge, aber noch viel mehr die innige, jubelnde Freude des Freundes spricht, als er sah, daß diescį doch allem Gerede entgegengesetzt, unerschütterlich seiner Kirche treu blieb, was sich in seinem Buch „Mein Himmelreich" mit dem hinreißend schönen Kapitel „Unsere Liebe Frau" unwiderleglich offenbarte. Man sollte dieses Kapitel im Marianischen Jahr als Flugschrift abdrucken und in ' katholischen wie evangelischen Kreisen verbreiten. Und wer weiß heute noch, daß die glühendste Verehrerin des Romanes I. N. R. I. gerade die Freiin Enrica von Handel-Mazzetti gewesen ist. Es ist auch vielen Kreisen nicht bekannt, daß sich nicht nur Rosegger, sondern noch viel mehr und viel schärfer als er Karl Muth gegen den seinerzeitigen (heute völlig überwundenen) Tiefstand in der damaligen katholischen hiteratur gewendet hat. Auch stellt Eatzke aus den Quellen fest, welche Freude Rosegger, der in rel iösen Dingen niemals für den hiberalismus seiner Zeit zu haben war, vielmehr stets „der unausrottbare Katholik" geblieben und auch als solcher gestorben ist, über das Verständnis und die Ehrerbietung empfunden hat, die der evangelische Züricher Theologe Konrad Furrer in seinen Vorträgen „Katholizismus und Protestantismus" den katholischen Einrichtungen entgegenbrachte.

Es trifft zu, was hatzke (auf S. 281 des zweiten Bandes) sagt: „Für sein werktätiges Interesse an Religion, Christentum, Kirche und Klerus hatte Rosegger schuldig und unschuldig manche bittere Rüge hinnehmen müssen, ehe er sich durch die auf ihn passenden und von ihm herzlich begrüßten Worte des damaligen Bischofs von Speyer und späteren Kardinals Michael Faulhaber voll gerechtfertigt sah: ,Wir sind nun einmal auf unser haicnapostolat angewiesen und ės ist ein unverantwortlicher Fehler, diesen Männern durch stete Anfeindung den Kampf um die heiligsten Güter unserer katholischen Religion zu vergällen.'"

Diesen wenigen herausgegriffenen Beispielen aus der Biographie ließen sich noch viele andere anfügen. Für den zweiten Band verweisen wir be-, sonders auf die eingehende Darlegung der Roseg- gerschen Naturverbundenheit, wieder einem Erbe aus seiner Bauernheimat, das sich nicht nur im bekannten Heimweh des Dichters, sondern ebenso auch in seinen zahllosen Wanderungen und Reisen auswirkte, auf die es ihn immer wieder getrieben hat, trotz dauernder Kränklichkeit und trotz des Heimwehs. Auch die eingehende Darstellung des Kreises seiner engeren und weiteren, darunter auch vieler ausländischer Zeitgenossen, unter denen es sehr bedeutende Persönlichkeiten gegeben hat, verdient besondere Aufmerksamkeit. Und nicht zuletzt das schöne Nachwort und die abschließende Zusammenfassung dieses einmaligen hebens, das sich „in demütiger Dankbarkeit" und in steigender Helligkeit" selbst erkannte und zum beseligenden Bewußtsein emporschwang, daß ihm „Gott die Gnade gegeben habe, zu sagen, was er sagen mußte".

Der „kalte Affekt der hiteraturgeschichte", wie das hessing einmal genannt hat, genügt nicht, um das tiefe Wesen dieses hebens und Wirkens auszuschöpfen. Kein Menschenauge, sondern nur das Auge Gottes kann und wird es überblicken, wieviel Stunden der Besinnung, des Glückes, des Trostes und der Erquickung, wieviel Erkenntnisse und lachendes Innewerden von Blume und Baum, Tier und Kind, Heimat und Volkstum und wieviel Einblick in bishin unbeachtete Tiefen des heimatlichen hebens der Bergbauern und der Waldleute uns Gottes Gnade durch diesen großen Steirer aufgeschlossen hat und weiter aufschließen wird. Denn noch ist Rosegger nicht in seinem aller- tiefsten Wesen erkannt. Hier handelt es sich nicht nur um eine „Idylle aus einer untergegangenen Welt", wie hatzke am Ende seines bewunders- werten Werkes allzu bescheiden und allzu vorsichtig meint. Max Mell sieht hier mit Recht noch mehr. Seine Gedenkrede (abgedruckt im „Steirischen Lobgesang") und sein kurzes, aber sehr tiefes Nachwort zu der feinen Auswahl aus den Waldheimatgeschichten im letzterschienenen Re- clamheftchen erkennen in Rosegger, über dessen heben „des Mittelalters Fahnen ihr Bahrtuch gebreitet haben“ darüber hinaus auch noch den begnadeten Weisen, der unserer Gegenwart und unserer Zukunft noch viel zu sagen haben wird.

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