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Rußland: Autoritär sind sie alle
Auf den Straßen Moskaus hält sich die politische Auseinandersetzung in Grenzen. Die Nationalkommunisten bringen ein paar tausend Geiferer zusammen. Präsident Boris Jelzin, der die Stimme des Volkes bitter nötig hätte, kann ebenfalls nur auf wenige tausend zählen. Die Russen haben andere als Verfassungssorgen, wenngleich ihnen klar sein muß, daß mit dem Machtkampf über die politische, wirtschaftliche und soziale Zukunft des Landes entschieden wird.
Im Streit um die Verfassung - Präsidialregime oder Parlamentarismus - haben sich die Fronten längst verhärtet; die Protagonisten scheinen den Blick für das, was Rußland aushalten kann, verloren zu haben. Weder das Parlament noch der Präsident agieren für das Volk. Die wirkliche Macht zur Durchsetzung demokratischer Ordnung ist ihnen längst entglitten beziehungsweise war nie wirklich vorhanden.
Dabei sind sich die Gegner - Jelzin und
Parlamentspräsident Chasbulatow werden hier immer stellvertretend für eine viel komplexere Auseinandersetzungen genannt - einander gar nicht so unähnlich: Jede Streitpartei glaubt, mehr oder weniger autoritär Rußland aus dem Schlamassel kommunistischer Unterdrückung herausführen zu können.
Das macht den Völkern Rußlands und den autonomen Republiken Sorgen. Je autoritärer Moskau sich gebärdet, desto stärker wird sich ein Unabhängigkeitsdrang etablieren. Die ohnehin vielfach gefährdeten GUS-Mitglieder bangen um den inneren Frieden, der mit einem Bürgerkrieg in Rußland endgültig verloren wäre. Die baltischen Republiken fürchten um ihre junge Unabhängigkeit.
Der Westen täte gut daran, seine Augen nicht nur auf Jelzin zu richten. Engführungen und politische Eindimensionalität würden bei einem Sturz Jelzins den Westen in große Ratlosigkeit stürzen. Zu Rußland gehörten viele Fäden geknüpft. Mit Jelzin ist noch lange nicht die Demokratie garantiert, ohne Jelzin die Demokratie auch noch nicht gänzlich verloren.
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