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Severin inZwentendorf?

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Er kam „aus dem Osten” nach Noricum, war von vornehmer Herkunft, verschwieg aber seinen wahren Namen und unterstützte die an der Donau ansässige römische Bevölkerung gegen die Germanen, indem er etwa als Fluchthelfer, Vermittler und Organisator von Kleiderspenden aus dem Süden auftrat.

Der Mann, von dem hier die Rede ist, der heilige Severin, gründete unweit der Stadt Favianis ein Kloster und richtete sich in dessen Nähe eine Klause ein. 482 ist er gestorben.

Eine hervorragende Quelle, die „Vita Severini” des Eugippius, hat uns das LebeD dieses hervorragenden Mannes überliefert, dessen Auftreten die Auflösung der römischen Dönaugrenze in Noricum um drei Jahrzehnte hinausgezögert hat. Die topographischen Angaben des Eugippius werden freilich noch verschieden interpretiert: die heutige Lage der historischen Orte, insbesondere der Stadt Favianis, ist nicht restlos geklärt.

Zu einem freundschaftlichen wissenschaftlichen Streitgespräch über die Lokalisierung von Severins zentraler Wirkensstätte kamen nun M'Ke Oktober Vertreter von drei verschiedenen, sicher nicht gleichwertigen, aber jeweils hochinteressanten Meinungen zusammen. In Mautern an der Donau, das die Mehrheit der Wissenschafter mit Favianis gleichsetzt, trugen sie ihre Ansichten vor.

Mit den stärksten Argumenten konnte dabei wohl eindeutig Frau Dr. Herma Stiglitz vom österreichischen. Archäologischen Institut aufwarten. Sie setzte die Funde von Mautern in Beziehung zu den Aussagen der „Vita Severini” und stieß dabei auf bemerkenswerte Ubereinstimmungen.

Fest steht, daß Favianis in der Provinz Noricum am Donauufer lag, dem Königssitz der Rugier gegenüber und etwas über 100 Meilen von Batavis (Passau) entfernt. Nun liegt auch Mautern am Donauufer im ehemaligen Noricum, etwa in der richtigen Entfernung von Passau, und daß die Rugierkönige an dieser Stelle am anderen Donauufer residierten, gilt allgemein als wahrscheinlicher als weiter östlich, da im Wiener Becken der Herrschaftsbereich der mit den Rugiern verfeindeten Goten begann.

Im Raum Mautern ausgegrabene Bauten lassen sich ohne weiteres als Severins Kloster und Klause interpretieren. Zudem lag nach römischen Angaben Favianis westlich von Comagenis (das üblicherweise mit Tulln gleichgesetzt wird).

Frau Dr. Johanna Haberl, die im Gegensatz dazu die Innere Stadt von Wien als Favianis von einst ansieht, stützt ihre eigenwillige Hypothese auf den Fund eines spätantik-frühchristlichen Grabes unter der St. Jakobs-Kirche in Wien-Heiligenstadt. Im Ortsnamen Heiligenstadt (ursprünglich „Locus sancti”= „heilige Stätte”) und im nahegelegenen „Sievering” scheint ihr der heilige Severin verewigt.

Aufgrund der Entfernungsangaben der „Vita Severini” und eines mittelalterlichen Zeugnisses (des Otto von Freising) identifiziert sie Favianis als Wien. Sie muß dazu allerdings davon ausgehen, daß die Grenze zwischen Noricum und Pannonien nicht, wie bisher angenommen, der Kamm des Wienerwaldes, sondern der Wienfluß war, und daß Vindobona weiter östlich lag. Eine etwas gewagte Argumentation.

Am originellsten mutet - gerade derzeit - die Hypothese von Dipl. Ing. Franz Ertl aus Kremsmünster an, Favianis sei das heutige Zwentendorf im Tullnerfeld gewesen. Neben einigen rö-mischen Funden führt Ertl als Indizien den Flurnamen „Weingartl” (Severins Zelle war der „Vita Severini” zufolge „ad vineas”=„bei den Weinbergen”) und den Ortsnamen Zwentendorf an, der ihm vom slawischen ,,sveti”(=„hei-1 ig”) - die nächsten Siedler waren Slawen - zu stammen scheint. Eine etwas dünne Beweisführung.

Interessantes aktuelles Detail zum Thema Zwentendorf: „Die Vita Sancti Severini” berichtet, Severin habe der Stadt Comagenis (Tulln) ein Erdbe-ben(!) vorhergesagt, das tatsächlich eingetroffen sei.

Der Wiener Historiker Univ.-Prof. Erich Zöllner, der das Gespräch von Mautern leitete, begrüßt auf jeden Fall die Beschäftigung mit dieser der unseren gar nicht so unähnlichen Ubergangszeit und der Person des heiligen Severin. Ihn interessiert vor allem die Frage des Weiterlebens antiker Kulturformen.

Er kommt zum Schluß, daß wohl ein Kulturbruch stattfand, aber mehr Kontinuität vorhanden war, als man bisher angenommen hatte: „Der Weinbau, die Almwirtschaft und etliches anderes, vielleicht auch die Bienenzucht, haben damals überlebt - und natürlich vor allem das Christentum!”

Daß man sich nun wieder intensiver mit dem römischen Erbe Österreichs befasse, sei vielleicht eine verständliche Reaktion auf den Germanenkult der Historiker bis zum Zweiten Weltkrieg.

Severin wird jedenfalls zumindest bis zum 1500-Jahr-Gedenken seines Todes im Jahr 1982 wieder viel diskutiert werden. Für 1982 ist bereits eine große Ausstellung „Severin und das Ende der Römerzeit” in Lauriacum/Lorch geplant. Dort wird wohl der neueste Forschungsstand über diese bemerkenswerte Persönlichkeit an der Schwelle von der Antike zum Mittelalter einsichtig gemacht werden.

Wichtige Literatur zum heiligen Severin:

Friedrich Lotten Severinus von Noricum, Stuttgart 1976

Rudolf Noll: Die Vita Severini des Eugippius im Lichte der neuen Forschung (Anzeiger der österreichischen Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-historische Klasse 112), Wien 1975

Istvän Bona: Severiniana (Acta Antiqua Acadc-miae Scientiac Hungaricae 21). Budapest 1973

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