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Barfuß über das Eis der Donau

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Zum 1500-Jahr-Jubiläum des heiligen Severin zeigt das Stadtmuseum Enns noch bis 26. Oktober eindrucksvolle Fundgegenstände, kirchliche Kultgeräte, Bilder usw.

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Zum 1500-Jahr-Jubiläum des heiligen Severin zeigt das Stadtmuseum Enns noch bis 26. Oktober eindrucksvolle Fundgegenstände, kirchliche Kultgeräte, Bilder usw.

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Wenn ich sage, der Severin, den Peter Dimmel am Tor der Lorcher Basilika abgebildet hat, das sei mein Severin, das sei der Mann, den ich mir vorstelle und wünsche, viel stärker sei dieser mein Severin als der von Passau und der auf der 500-Schilling-Münze, wenn ich den von der Briefmarke als mieselsüchtigen Pfaffen verachte, so fange ich einen recht unchristlichen Streit unter den Verehrern des Heiligen an.

Beweisen kann ich ja schließlich gar nichts. Der heilige Severin — wir wissen überhaupt nicht, wie er ausgesehen hat, wie groß, wie schwer er war, ob er vielleicht abstehende Ohren hatte, buschige Augenbrauen oder eine lange Hakennase. Wir wissen, daß er viel fastete und sehr anspruchslos lebte — und wir denken uns sogleich eine hagere Asketengestalt dazu. Aber wer beweist denn das?

Ein schwabbeliger Biermönch wird er nicht gerade gewesen sein, doch er kann durchaus athletisch,' sehr fest und gedrungen gebaut gewesen sein. Und vielleicht war er sogar klein von Wuchs. Die Kleinen entwickeln manchmal erstaunliche Initiativen.

Wir wissen eigentlich von seinem Körper nichts, außer von seinen Füßen. Die müssen zäh gewesen sein, mit robusten Sohlen. Eu-gippius, der im Jahre 511 die Lebensbeschreibung des Heiligen als einen stilisierten Report verfaßte, den er dem römischen Dichter Paschasius schickte, damit dieser ein würdiges Sakralepos daraus gestalte, dieser Eugippius berichtet, daß Severin im Winter barfuß über die zugeforene Donau ging.

Und noch ein Äußeres: eine härene Kutte soll er getragen haben. Die Franziskaner sehen so ähnlich aus, obwohl es sie damals noch nicht gab. Aber Severin hat überhaupt manche Ähnlichkeit mit einem Franziskaner.

Es wird von etlichen Ordensgemeinschaften berichtet, die Severin gegründet und betreut hat, aber wir wissen nicht, was für ein Orden das war, nach welchen Regeln er lebte. Waren es eine Art Benediktiner? Es spricht da manches dafür, nicht zuletzt die bedeutsame Tatsache, daß die Methoden Severins von den benedik-tinischen Missionaren aufgenommen und gehütet wurden. Von den Benediktinern wurde auch die Schrift des Eugippius „Vita S. Se-verini” in den klösterlichen Schreibstuben eifrig vervielfältigt, so daß dieses Werk zu der am meisten verbreiteten Heiligengeschichte des frühchristlichen Mittelalters wurde.

Doch dann paßt wieder einiges zu dem viel späteren Franz: daß Severin in seiner Todesstunde sang. Daß es Kirchensänger gab, von denen er einen einmal als Botschafter aussandte. Seine Stimme muß tragend gewesen sein, laut und wortgewaltig, an römischer Rhetorik geschult, mitunter furchterregend. Nur zweimal berichtete Eugippius von erfolglosen Predigten. In Asturis, da war Severin noch ein Anfänger, da glaubten die Bewohner seinen Warnungen nicht, worauf ein Strafgericht eintraf, dessen Kunde die Noriker kräftig darüber belehrte, daß es höchst unklug sei, mit dem Mann Gottes zu spaßen.

Wir wissen viel, wir wissen wenig von diesem Severin, der sich mit einer von Eugippius überlieferten ironischen Bemerkung der Frage nach seiner Herkunft entzog. In Wien-Heiligenstadt, wo in der Unterkirche eine Grabstelle gezeigt wird, die höchstwahrscheinlich die Stätte ist, wo Severins Leichnam von seinem Tode im Jahre 482 bis zum Abzug der Romanen und auch der severinischen Mönchsgemeinde 488 lag, da erzählt ein freundlicher Cicerone, Severin sei der geflohene Bischof von Aquileja gewesen.

Schon möglich. Die Art, mit der Severin mit den Autoritäten seiner Zeit redete, vom Bischof Constantinus von Lauriacum bis zum rugischen Stammeskönig und zum Skirenfürsten Odoaker, läßt immerhin vermuten, daß da kein kleiner Wandermönch zaghaft zu den Großen aufschaute,'sondern daß ein in Geist und Umgangston weltgewandter Partner auftrat.

Ein österreichischer Fernseh-Literat meint, Severin sei Hofnotar des Hunnenkönigs Attila gewesen, ehe er als Prediger und Wundertäter an die Donau kam. Ein Wissenschaftler, der die Schrift des Eugippius auseinandernahm wie ein riesiges Puzzlespiel, kam auf die Idee, Severin sei ein „Illustrissimus” gewesen, ein Mann vom römischen Hochadel, ein Militär- und Regierungsstratege.

Woraus sich ganz zwanglos die Theorie von unserem Heiligen als gesellschaftlichem Aussteiger ergibt. So abwegig ist das gar nicht. Denn die römische Gesellschaft war damals, so wie manche gute Gesellschaft später, für ehrliche Menschen wirklich zum Aussteigen.

Nur leider, wir wissen's nicht sicher, so daß der Wissenschaft und der Phantasie der Reiz des Unbekannten wohl noch länger erhalten bleibt. Es ist aber auch nicht wesentlich. Wenn der Mensch, sobald er radikal ein Christ wird, ein neuer Mensch ist, so gilt das auch für unseren Severin.

Ein Priester soll er auch nicht gewesen seih. Zumindest berichtet Eugippius niemals, daß Severin die Messe las oder Sakramente spendete. In der offiziellen Sprache heißt alles das, er ist schwer einzuordnen.

Severin hatte unter anderem folgende Fähigkeiten: Organisationstalent wie ein Staatsmann, Sprach- und Schreibkenntnisse, medizinische Fähigkeiten, Beziehungen bis nach Byzanz, Fähigkeiten in Strategie, Lagerhaltung, Transport-, Geldwesen. Am meisten zu bewundern ist seine Friedenspolitik, mit der er der Disziplin der Römer und der Haudegenmentalität der Nachbarvölker eine gewaltlose christliche Festigkeit entgegensetzte.

Was wäre ein Heiliger ohne Wunder! Doch es ist schwer, heute nach eineinhalb Jahrtausenden auseinanderzuhalten, was des Eugippius fromme Dichtung und was wirkliche Begebenheit ist. Diese Wunderberichte textkritisch und tiefenpsychologisch zu zergliedern, ist mir ebenso unsympathisch, wie sie mit fanatischer Gläubigkeit zu verteidigen.

Daß hungernde Menschen durch Severins Wirken satt geworden sind, daß Leidende getröstet wurden, daß unendlich viel Elend gelindert und sinnlose Opfer einer gnadenlosen Soldateska vermieden wurden, das ist entscheidend.

Vermutlich gilt für Severin dasselbe, was immer gilt: erst dann, wenn alle menschliche Kraft und Intelligenz eingesetzt ist und doch nicht ausreicht, dann überwindet der allmächtige Gott, wenn er will, die fehlende Strecke bis zum Gelingen mit Ereignissen, die auch über die Grenzen von Erfahrung und Naturgesetz hinausgehen können.

Worin besteht aber nun der Erfolg Severins? Er hat den Zerfall des Römischen Reichs und seiner Kultur im Donauraum nicht verhindern können. Er war der ordnende Liquidator des ersten Christentums auf dem Boden des heutigen Osterreich.

Ist es nicht ein Merkmal österreichischer Geschichte, aus Niederlagen und Rückzügen mehr zu bergen und zu bewahren als andere Völker aus siegreichen Schlachten? In Verhandlungen mehr zu gewinnen als im bewaffneten Trutz? Aus eigener Kraft in karitativer Solidarität mehr zu leisten als durch ruhmreiche Beute? Immer wieder aus dem Verzicht zu wachsen und aus tragischen Irrtümern geläuterte Lehren zu ziehen?

Wir wissen nicht, ob Severins ,.Favianis” in Wien, Mautern oder gar in Zwentendorf lag. Aber wir wissen, daß über unsere Heimaterde ein Mann mit einem ungeheuren Willen zum Guten gegangen ist.

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