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Österreichischer Dreiklang

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Jeder Gebildete kennt natürlich Severin, den Apostel Noricums, und denkt sofort an Sievering oder das Zusammentreffen Severins mit Odoaker und des Heiligen Prophezeiung über die rasche Karriere des jungen Kriegers bis zur Erlangung der Königskrone in Italien. Man weiß vielleicht noch, daß dieser in beispiellos harter Askese lebende Mönch in gleicher Weise bei den romanischen Norikern wie bei den ständig andrängenden Germanen in hohem Ansehen stand und so vieles zur Linderung der Not in Noricum, die durch den Beginn der Völkerwanderung sehr groß war, beizutragen vermochte. Worauf gründet die Tatsache, daß inmitten einer Welt des Zusammenbruches, da die rohe Gewalt an Stelle des Rechtes getreten war und die militärische Macht allein entschied, ein Mönch solchen Einfluß gewinnen konnte?

Severin war, soweit auf Grund der Lebensbeschreibung seines Schülers Eugippius („Vita Severini“) eine sichere Datierung möglich ist

— diese Vita zählt übrigens zu den interessantesten und historisch wertvollsten Biographien der Antike —, 453, also vor nunmehr 1500 Jahren, nach Noricum gekommen.

Bis zu dieser Zeit zeigte das Leben in Noricum im Vergleich zu den übrigen Grenzprovinzen des Imperiums Romanum keine besonderen Abweichungen. Die Eroberung durch die Legionen, die Romanisierung, der Anteil an dem Aufschwung des römischen kulturellen Lebens im 1. und 2. Jahrhundert, die Verfallserscheinungen ab dem 3. Jahrhundert, das erste Aufkommen des Christentums, die immer größere Not durch das Herannahen der Völkerwanderung, das alles waren Vorgänge, wie sie sich mehr oder minder ähnlich auch in den anderen Provinzen des weiten Reiches abspielten.

Nach dem Tode des Hunnenkönigs Attila Im Jahre 453 nach Christus wird dies aber nun ganz anders. Jetzt tritt in dieser Provinz, die fürchterlich unter den Invasionen und Okkupationen, dem Flüchtlingsstrom, unter Not, Hunger und Krankheiten leidet, ein einzelner — ein Mann ohne Titel und Rang

— ein völlig unbekannter Ausländer, ein „weltfremder Asket“ auf, und durch die Kraft seiner Persönlichkeit und die säkulare Art seines Wirkens ändert er nicht nur die Menschen seiner Zeit, sondern auch vorübergehend die Zeit selbst.

Klosterneuburg, Tulln und Mautern sind die ersten Stationen seines Wirkens hierzulande. Ungeheuer muß der Eindruck gewesen sein, den seine eiserne Askese, sein die Menschen bis in das Innerste ihres Herzens durchdringender Scharfblick und seine Wundertaten hervorriefen, denn bald erkannte ganz Noricum ihn als den alleinigen Halt in diesen apokalyptischen Zeiten an.

Die Großtaten Severins aber überschritten weit den Rahmen der Askese und des seelsorglichen Wirkens. Denn soweit ein Werturteil hier überhaupt möglich ist, so sind seine Taten als Organisator einer Art katholischen Aktion, einer staunenswerten Caritas und als politischer Führer Noricums noch gewaltiger. Die Askese war Severin seit seinem Aufenthalt in einer afrikanischen Wüste die unerläßliche Kraftquelle seines innerlichen Lebens geworden. Eugippius erzählt unter anderem, daß er immer barfuß ging, auch inmitten des norischen Winters, da die Donau zufror und Lastfuhrwerke von Mautcrn nach Krems fahren konnten. Diese Strenge gegen sich selbst war nur ein Symbol für seine ständige Meditation und sein Gebetsleben. Aus diesen Kraftquellen heraus weiß er die Gefallenen zu bessern, die Verzweifelten aufzurichten und die wildesten Krieger und Räuber zu Ehrfurcht zu zwingen und seinem Willen zu beugen.

Seine seelsorgliche Tätigkeit umschließt alle. Ohne kirchliches Amt — er verweigerte auch seinen Schülern gegenüber eine Auskunft über sein Kommen und seine Abstammung — nur getragen durch sein Charisma gebietet er über Bischöfe, Klerus und Laien als wahrhafter Apostel Noricums. Von seinem Zentralkloster in Favianis und den zahlreichen Tochterzellen erfährt das kirchliche Leben stärkste Impulse.

Die katholische Aktion des Heiligen hat in der Organisation der Caritas ihren Höhepunkt gefunden. Es ging ihm nicht nur darum, der großen sozialen Not überhaupt zu steuern, sondern die soziale Existenz aller zu sichern und womöglich noch zu verbessern. Severin führte eine zehnprozentige Abgabe (Zehent) zugunsten der Armen und Krankenpflege, der Flüchtlingsfürsorge und der Gefangenenbetreuung ein. Er begnügte sich aber nicht mit freiwilligen Gaben, sondern jeder im Erwerbsleben stehende Noriker wurde dazu herangezogen. Wie die Vita berichtet, gab es so in Noricum bald keinen Notleidenden mehr.

Der große Heilige, den der Mythus des Geheimnisvollen umgab, war auch ein scharf beobachtender und psychologisch ungemein feinfühlender Mensch, der die Kunst der Menschenbehandlung und Erkenntnis meisterhaft bei seiner politischen Tätigkeit nutzte. Ohne Sicherung der politischen Existenz der Noriker mußte auch das Reich des christlichen Friedens und der Nächstenliebe, das er auf den Trümmern der römischen Provinz nach der Befreiung von der hunnischen Okkupation aufgerichtet hatte, vor einer neuen Besetzung durch die Germanen zusammenbrechen.

Daher war schon die Wahl von Favianis als Zentralkloster klug bedacht. In Krems residierten die rugischen Könige und der ständige Kontakt mit ihnen unterwarf sie der Macht der Persönlichkeit des Knechtes Gottes — so nannte sich Severin selbst mit Vorliebe. Zahlreiche hochstehende Männer außerhalb Noricums, speziell bei den Germanen, standen mit ihm in Verbindung, und so war auch Odoaker zu ihm gekommen und blieb zeitlebens mit ihm in Kontakt.

Auch die Alemannen weiß er zur Zeit ihres Königs Gibuld zu bändigen und dieser schlachtgewohnte und jähzornige Herrscher zitterte, wenn der Heilige ihm zürnte. Als nach Gibulds Tod die alemannische Gefahr nicht mehr zu bannen war, organisierte Severin nicht nur einen siegreichen Widerstand, sondern noch größer war sein erfolgreicher Plan, durch eine Umsiedlung der Romanen aus dem nicht mehr zu haltenden Westteil Ufer-Noricums wenigstens den Osten zu sichern.

Diese politische Tätigkeit Severins ging gleich von Anfang an seiner anderen wahrhaft apostolischen Tätigkeit für Noricum parallel. Es ist wahrscheinlich (die Datierungsmöglichkeiten nach der „Vita“ sind nicht groß), daß der Aufbau des Werkes der religiösen und sittlichen' Erneuerung Noricums und der durch Severins Persönlichkeit verbürgten politischen Sicherung den größeren Teil seines Wirkens von zirka 453 bis zu seinem Tode im Jahre 482 umfaßte. Die Alemannenkrise und ihre soweit großartige Lösung trat erst gegen Ende seines Wirkens ein.

Das Finale dieses einzigartigen Lebens galt der Vorbereitung der von ihm prophezeiten Rückführung der Romanen nach Italien. Aber der Tod des Propheten, dessen urchristlichen heroischen Ablauf Eugippius so ergriffen plastisch schildert, und seine Ueber-führung in italienische Erde bedeutete kein Ende.

Durch ihn, der an der Wende zweier Zeiten und Welten stand, hat unser Land den schicksalsentscheidenden Dreiklang von Christentum, Antike und Germanentum als Dominante seines Wesens erhalten und bis zum heutigen Tage bewahrt. Durch seine Erhabenheit über engherzige nationale Motive und seine allgemeine Menschenliebe ist er der erste Former des österreichischen Menschentypus geworden. Stärker als alle Ungerechtigkeiten und Gewalttaten hat sich die Liebe und Demut und der Glaube erwiesen, in dem und durch den Severin alle Mächte seiner Zeit überwand und ihnen den Stempel seiner gewaltigen Persönlichkeit aufzwang.

So ist der Apostel Noricums auch der heutigen Kulturmenschheit ein sicheres Unterpfand, daß die rohe Gewalt den Geist und die Liebe nicht bezwingen kann. Wir Oesterreicher aber haben alle Ursache, der 1500jährigen Wiederkehr seines Kommens in unsere Heimat dankbar zu gedenken.

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