6920648-1981_43_09.jpg
Digital In Arbeit

Was wissen wir über St. Severin?

Werbung
Werbung
Werbung

Schlagwörter wie „Völkerwanderung" und „Ende der Römerzeit" charakterisieren jene bewegte Epoche, in der der heilige Severin in unserer Heimat wirkte und der bedrängten Bevölkerung Halt und Hilfe bot. Noch gehörten die beiden Teilprovinzen von „Noricum", das den größten Teil des heutigen Osterreich umfaßte, zum Römischen Reich, als Severin—bald nach dem Tode des Hun-

iienkönigs Attila (t 453) - hier seine großartige Tätigkeit begann. Das Gedenken an seinen 1500. Todestag wird am 8. Jänner 1982 festlich begangen.

Uber das Leben und Wirken des Heiligen informiert vor allem die im Jahre 511 vom Abt des Klosters LucuUanum bei Neapel verfaßte „Vita Severini". In mehrfacher Hinsicht konnte jedoch unser Wissensstand in jüngster Zeit erheblich erweitert werden.

Was in der biblischen Exegese und in der Literaturgeschichte längst üblich ist, wiurde vor Friedrich Letter („Severinus von Noricum. Legende und historische Wirklichkeit", Stuttgart 1976) kaum auf die „Vita Severini" angewendet, nämlich die „formge-. schichtliche Methode", die die ; Quelle unter Beachtung der ,4ite-rarischen Gattimg" auswertet. Das Buch des Eugippius ist ein .Heiligenleben" und in der Art abgefaßt, wie man damals solche „Viten" schrieb, d. h. daß menschliche Erkenntnisse und geschichtliche Begebenheiten oft im Kleid des Wunderbaren zur Darstellung kommen.

Zum wirklichen Severinbild kann man daher vielfach nur durch mühsam freizulegende Schichten gelangen, und bisweilen lassen sich statt der gesuchten scharfen Konturen nur mehr Rudimente erkennen. Eugippius wollte eben nicht Geschichte schreiben, sondern Heilsgeschichte. Daher überspringt er oft die Primärursachen, um gleich zur Letztursache vorzustoßen und die Geschehnisse direkt auf Gott zurückzuführen.

Hilfreiche Archäologie

So schildert er z. B. als Prophe-tie, was wohl Ergebnis eines gut ausgebauten Nachrichtennetzes war, und als Wunder, was Fleiß, Umsicht und gute Organisation zustande brachten, z. B. die Beschaffung von Olivenöl aus Italien für die hungernde Bevölkerung von Lauriacum/Lorch. Dabei braucht man Eugippius die subjektive Glaubwürdigkeit keineswegs abzusprechen. Er betätigte sich ja vor allem als Redaktor bereits überkommenen Erzählguts, das seit dem jeweiligen Geschehen schon eine Umformung durchgemacht hatte.

Die erwähnte Methode ist zwar nicht immer ganz leicht anzuwenden. Aber schon wenn sie ein entsprechendes Problembewußtsein schafft, wird man die Quelle anders als bisher lesen und auswerten können.

Ob Severin, wie F. Lotter meint, einmal römischer Konsul war, sei dahingestellt. Gesichert dürfte (vor allem unter Ausnützung der „Vita Antonii" des Ennodius) dagegen sein, daß der Heilige ein hochgebildeter und einflußrei-

cher , Jlömer" im Staatsdienst gewesen sein muß, bevor er seine Tätigkeit als „Mann Gottes" begann.

Als Illustration für den Rang Severins können auch seine engen Beziehungen zum weströmischen Kaiserhaus gelten, die nun stärkere Beachtung gefunden haben. Hier sei nur angedeutet, daß die vornehme Dame Barbaria, die sich nach dem Tode um die Reliquien des Heiligen bemühte, in einem Nahverhältnis zum letzten weströmischen Kaiser Romulus Augustulus und zu dessen Vater Orestes gestanden haben muß, da sie über „LucuUanum", den Ruhesitz des Kaisers, verfügen konnte. Am einfachsten schließt sich der Kreis mit der Annahme,

daß Barbaria die Frau des Orestes und Mutter des Romulus Augustulus war. Orestes aber war nach dem Zeugnis der „Vita" mit Severin befreundet.

Zum Kaiserhaus führen von unserem Heiligen ja noch andere Spuren, nämlich über die Freunde des Orestes namens Primenius und Ambrosius, die bei Eugippius Erwähnung finden.

Die großen archäologischen Entdeckungen der letzten Jahre werfen in vielen Detailfragen Licht auf die „Vita" und sind zu einem unentbehrlichen Hilfsmittel für deren Auswertung geworden. Ein Beispiel: Bis vor kurzem hielt man Boiodurum bei Passau für das Boiotro der Vita Severini. Ersteres war aber zur

Zeit des Heiligen nicht mehr bewohnt. Wie soll sich dann in seiner Nähe ein Severinkloster befunden haben?

Außerdem war der bisherige Grabungsbefund in der Severinkirche zu Passau-Inn-Stadt, die nach der Tradition in Beziehung zu Severin gestanden sein soll, negativ. Wie sollten diese Rätsel aufgehen?

Nun haben jüngste Ausgrabungen nicht nur das in der Spätantike verlegte Kastell Boiotro lokalisieren und dessen Fortbestand bis in die Severinzeit feststellen, sondern auch in der Severinkirche entsprechendes römisches Mauerwerk sondieren können. Die Angaben der „Vita" haben sich glänzend bestätigt.

Bisher herrschte vielfach die Meinung, daß Severin in der Kunst kaum beachtet worden sei. Zwar ist der Strom der Verehrung, verglichen mit anderen Heiligen, relativ schmal, aber bedeutende Skulpturen der Gotik (besonders im Passauer Raum), gute Gemälde der Barockzeit (Wien und Passau) und eine Reihe von Kirchenbauten des Mittelalters und der Neuzeit (Italien, Osterreich und Bayern) beweisen ebenso wie die umfangreiche Literatur, daß das Andenken an Severin stets lebendig geblieben ist.

Beachtung verdienen auch jene Gestalten, die sich früh um die Verehrung Severins gekümmert haben. Ich erwähne vor allem Papst Gregor d. Gr. (590-604) und Bischof Willibald v. Eichstätt (t 787).

Orte, die den Kult Severins in jüngster Zeit besonders gepflegt haben, sind Lauriacum/Lo^rch und Wien-Heiligenstadt.

Zum Thema Verehrung hoffe ich bei der Severin-Ausstellung 1982 in Enns sowie in meiner Severin-Monographie, die sich in Vorbereitung befindet, „neues" Material vorlegen zu können.

Der Autor ist Vorstand des Instituts für Kirchen- und Diözesangeschichte der Kath.-Theol. Hochschule Linz.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung