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Das Grab in Heiligenstadi

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Die Kulturhistoriker der Jahrhundertwende haben dem' Ort Heiligenstadt, der jetzt ein Teil des 19. Wiener Gemeindebezirkes ist, seinen alten Ursprung abgesprochen. Die bis in unsere Tage lebendig gebliebene Lesart, daß dieser Ort bis in die Römerzeit zurückreiche, daß Kaiser Probus hier die Weingärten pflanzen ließ und daß St. Severin hier gelebt und gewirkt haben soll, wurde einfach als Legende hingestellt. — So schreibt die Topographie von Niederösterreich (III' 173, Wien 1896) unter Schilderung der Ortschaft Heiligenstadt: „Die Entstehung dieses Ortes wurde vielfach irrigerweise in das 5. Jahrhundert zurückdatiert, indem man sie mit der Person des heiligen Severin verknüpfte. Man suchte die Orte von dessen Wirksamkeit, die uns die Biographie seines Schülers Eugip-pius überliefert, in dieser Gegend: Favianis in Wien, ad vineas, bezog man auf den Nußberg, der älteste Name von Heiligenstadt, .locus sanetus', schien eine Erinnerung an den Heiligen zu bewahren. Mit der endgültigen Beseitigung der Identität von Favianis mit Wien aber durch Kenner (Bl. d. V. f. Lan-desk. v. NOe., XVI. 1882), wurde die Ansicht von Severins Niederlassung in der Gegend von Heiligenstadt ,zur Legende'.“

Damit schien der Fall Heiligenstadt erledigt. Nun ist aber heute durch die in der St.-Jakobs-Kirche in Heiligenstadt abgeschlossenen Grabungen unwiderleglich nachgewiesen, daß die Entstehung d Ortes doch in die Römerzeit zurückreicht und daß seit dem 5. Jahrhundert an der Stelle der heutigen St.-Jakobs-Kirche eindeutig eine christliche Kultstätte besteht.

Der abschließende offizielle Grabungsbericht liegt noch nicht vor und wird vielleicht erst in zwei Jahren publiziert werden. Jedenfalls sind alle Fachgelehrten des In- und Auslandes, die bisher die Grabungen besichtigt haben, in der Datierung einig: Ein römischer Bau aus dem 2. bis 4. Jahrhundert nach Christi und eine christliche Kultstätte aus dem 5. Jahrhundert! Daran kann heute nicht mehr gerüttelt werden.

Und diese christliche Kultstätte ist nie in Vergessenheit geraten, im Gegenteil, sie ist direkt sorgsam ummauert worden, als sie in ihrer ursprünglichen Form nicht mehr verwendet wurde, so daß wir heute in der St.-Jakobs-Kirche in Heiligenstadt eine Stätte haben, an der das Christentum durch 1500 Jahre ununterbrochen gepflegt wurde und lebendig erhalten blieb. Und wo eine Kultstätte ist, da muß auch eine Siedlung gewesen sein. Also besteht der Ort 1500 Jahre!

Von einzelnen Wissenschaftlern sind Bedenken hinsichtlich der Severin-Tradition in Heiligenstadt laut geworden. So hat vor allem Karl Lechner in „Wiener Geschichtsblätter“ (1953, Nr. 3/4, Seite 54 ff.) die Severin-Tradition in Heiligenstadt neuerlich als „liebliche Legende“ bezeichnet.. Aber so einfach ist die Sache nicht!

Durch die Ausgrabungen wurde eine ganz neue Situation geschaffen,- die man nicht von dem festgefrorenen Standpunkt aus lösen kann, Severin sei nie in Pannonien gewesen, folglich kann Heiligenstadt nichts mit Severin zu tun haben. Die Grenze zwischen Norikum und Pannonien war kein eiserner Vorhang, das Wiener Becken hat ursprünglich zu Norikum gehört und war von Norikern besiedelt, und schließlich bildete zur Zeit Severins UferNorikum und Ober-Pannonien eine Einheit! Auch die an sich geistreichen Uebcrlegungen Dr. Kenners in Ehren, aber zu sagen, daß niemand mehr an der Gleichsetzung von Favianis mit Mautcrn zweifeln könne, geht .zu. weit, denn Dr. Kenner selbst betont am Schluß seiner Abhandlungen, daß er mit dieser Gleichsetzung nur eine „Kombination“ gegeben habe.

Auch unter Fachleuten ist die ganze Topographie der Römerorte zwischen Wien und der Enns strittig. Weder die von Eugippius genannte Rugenburg noch das ganze Siedlungsgebiet der Rügen jenseits der Donau ist eindeutig festgestellt. Die „Vita Severini“ und die „Notitia Dignitatum“ lassen bezüglich Favianis verschiedene Deutungen zu. Nur eine eingehende Prüfung aller Möglichkeiten im Hinblick auf die Urquelle, die Tradition und die neuesten Ausgrabungen könnte eine Klärung der Frage bringen. Das ist aber bisher noch nicht geschehen.

Es scheint mir z. B. auch ein voreingenommener Standpunkt, zu behaupten, daß die Grabstätte des heiligen Severin in Heiligenstadt „untrennbar“ verbunden sei mit der Frage Favianis gleich Wien, wie Lechner schreibt. In der Vita ist nicht angegeben, wo St. Severin nach der Plünderung des Klosters, in dem er starb, beigesetzt wurde! Mag Favianis auch nicht mit Wien identisch sein, so spricht doch nichts dagegen, daß Heiligenstadt die vorübergehende Ruhestätte Severins war, dehn eines ist sicher: Dis Grab in Heiligenstadt s t i rhmtin seine r A r t, i n d e r Zeit und in allen Einzelheiten auf St. Se v-erih. Hier nur einige flüchtige Hinweise: Es ist keine gewöhnliche Erdgrube, sondern ein gemauertes Grab. Es kann also nur ein bedeutender christlicher Mensch gewesen sein, dem man in der damaligen, ins Primitive absinkenden Zeit ein solches Grab gemauert hat. Dieses Grab ist ein Hochgrab, dessen Sohle nur etwa 20 Zentimeter unter dem frühchristlichen Bodenniveau liegt, ein Zeichen, daß man diesen Menschen nicht endgültig beerdigen wollte. Diese Tatsache wird durch die Exhumierung, die eindeutig festgestellt ist, erhärtet. Diese Exhumierung wurde aber noch in frühchristlicher Zeit durchgeführt, da der den Leichnam bedeckende Lehm, dessen Reste auch noch im Grabe vorhanden sind, bei der Exhumierung auf das frühchristliche Bodenniveau zu liegen kam, wo er heute noch festgestellt werden kann. (Siehe Bild: Lehm neben dem Grab.) Der Estrich des Grabes selbst isf römische Arbeit, muß also noch vor Abzug der Romanen aus diesem Gebiet, also vor 488, gemacht worden sein. Dies alles stimmt auf St. Severin, der bekanntlich 482 gestorben ist und 488 exhumiert wurde.

Die steinernen Beweise einer frühchristlichen Kultstätte aus dem 5. Jahrhundert, die Respektierung dieser Stätte bei allen späteren Kirchenbauten müssen zur Kenntnis genommen werden.

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