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Zigeunerwelt

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„Die Zigeuner, ein ungeschaffen, schwarz, wüst und unflätig Volk, das sonderlich gern stiehlt“ - so urteüte 1544 Sebastian Münster in seiner Cosmographia. Aus Protest gegen die Formulierung schrieb sein Namensvetter Thomas Münster vor zwanzig Jahren einen historischen Zigeunerroman, gespeist aus der Sympathie für dieses merkwürdige Volk, sein Büd idealisierend. Aber, erst vor wenigen Jahren geschah es, daß zum erstenmal ein Zigeuner einen Zigeunerroman schrieb, einen Roman, in dem er mit Authentizität ein ungeschminktes Bild des Zigeunerlebens zeichnet

Es ist das Bild und Leben eines ungarischen Zigeunerdorfes in der Zeit zwischen den frühen dreißiger Jahren und dem Ende des Kriegs, das in dem Roman Gestalt gewinnt. Viel eigenes Erleben konnte der Autor in seine realistische Schüderungen einfließen lassen. Derart entstand ein hochinteressantes Buch, dessen Wert mehr im Dokumentarischen als im Literarischen liegt, trotz aller folkloristischen Atmosphäre, die es wiedergibt.

Den Mittelpunkt dieser Zigeunerwelt bildete das Pferd: „Hinter seiner Anbetung mußten sogar Ehre und Anstand zurückstehen, oft auch Familie und Frau, Freunde und Geschwister, denn nur so konnten Betrug, Diebstahl und auch das Faustrecht uneingeschränkt zur Geltung kommen.“ Es ist eine Welt, in der im Winter Kälte und Hunger regieren.

In dieser Welt werden Kinder über Kinder geboren. Viele sterben am Elend. Was bleibt, ist die Macht des Triebes, der überall seine Befriedigung sucht. Die Frau ist auch als Nutztier willkommen. „Den ganzen Tag“, heißt es einmal, „redeten die Männer über nichts anderes als Frauen und Pferde. In beiden sahen sie Nutztiere, wobei die Frau sich eher bezahlt machte, weil sie leichter zu beschaffen war und ihre Haltung nichts kostete. Im Gegenteil, sie ernährte den Mann.“

Wie weit gehört das alles der Vergangenheit an? Bedenkt man den Bildungsweg des Autors, wird es deutlich, daß Zigeuner heute fähig und wülens sind, ein konsolidiertes Berufsleben auszufüllen.

BITTERER RAUCH. Von Me-nyhert Lakatos. Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart, 1979, 440 Seiten, öS 205,40.

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