"Die Krankenkassen haben uns erpreßt"

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dieFurche: Künftig soll es Psychotherapie auf Krankenschein geben. Nun sind aber viele Therapeuten über den Vertragsentwurf erbost. Warum?

Jutta Figl: Es geht im wesentlichen um die sogenannten Einstiegs- oder Zusatzkriterien. Das sind Bedingungen, die die Krankenkassen an die Psychotherapeuten stellen. Damit, meinen sie, soll die Qualität der Psychotherapie gesichert werden. Die Frage ist, ob diese Kriterien erfüllt werden können. Von dieser Beurteilung hängt es letztlich ab, ob der Vertrag von den Psychotherapeuten angenommen wird oder nicht. Wir, das Kassenverhandlungsteam des Österreichischen Bundesverbandes für Psychotherapie, meinen, daß der Vertrag der Berufsgruppe sehr viel bringt. Erstens, weil die Berufsgruppe dadurch eindeutig im Gesundheitssystem verankert wird. Weiters bringt der Vertrag die Sicherheit, daß alle 18 in Österreich anerkannten psychotherapeutischen Methoden vertragsfähig bleiben. Das ist nicht selbstverständlich. In Deutschland beispielsweise werden Methoden ausgeschlossen. Das wäre für unsere Berufsgruppe unannehmbar. Und der Vertrag sichert Menschen, die sich Psychotherapie bisher nicht leisten konnten, eine Behandlung.

dieFurche: Es gibt rund 5.400 Psychotherapeuten in Österreich. 415 sollen einen Kassenvertrag bekommen. Werden die anderen übergangen?

Figl: Nein, so kann man das nicht sehen. Es werden 415 Vertragsstellen angeboten. Alle anderen, die die Zusatzkriterien ebenfalls erfüllen, können Wahlpsychotherapeuten werden.

dieFurche: Herr Picker. Sie haben an diesem Gesetzsentwurf sehr massiv Kritik geübt.

Richard Picker: Daß sich nun die Sozialversicherungsträger dazwischen schalten, das ist ein großes Problem. Denn dadurch steuern sie mit sozialem Geld die Behandlung, Methoden und auch Menschen, die die Behandlung durchführen dürfen. Auch sind diese sogenannten Zusatzkriterien eine Anmaßung.

dieFurche: Inwiefern?

Picker: Ich möchte ein Beispiel nennen. Wenn ein Therapeut 20, 30 Jahre tätig war, alle gesetzlich berechtigten Ausbildungen hat, so muß er etwa jetzt nachweisen, daß er 1.000 Stunden diese oder jene Krankheit mit Erfolg behandelt hat. Oder, daß er in Institutionen tätig war, und so weiter. Wenn man sich diese Kriterien ansieht, dann erkennt man, daß das mit Psychotherapie überhaupt nichts mehr zu tun hat. In einem psychiatrischen Krankenhaus sehe ich zwar auch psychisch Kranke, aber in der Behandlungssituation eines psychiatrischen Krankenhauses und das ist keine psychotherapeutische Behandlung, selbst wenn man dort mit Kranken spricht. Die Psychiatrie arbeitet mit Medikamenten, nach einer eigenen wissenschaftlichen Methode. Das hat mit therapeutischer Qualitätssicherung überhaupt nichts zu tun. Der Bundesverband der Psychotherapeuten will diese Kriterien ebensowenig wie ich, er hat diese Kriterien vorgesetzt bekommen und mußte sie schlucken.

Figl: Die Kriterien wurden uns vorgesetzt, das stimmt. Wir sind damit alle nicht zufrieden. Jetzt kann man darüber natürlich empört sein, ich bin das auch. Nur es ist eindeutig so, daß ein Vertragspartner etwas fordern darf. Und der Hauptverband der Sozialversicherungsträger besteht darauf, daß eine psychiatrische Erfahrung vorgewiesen wird. Das sehe ich wiederum als etwas Positives, denn sie überantworten uns damit die schwersten psychischen Störungen, die sie bisher immer nur den Psychiatern zugeordnet haben.

dieFurche: Warum wollen Sie diesen Vertrag überhaupt, wenn Sie damit nicht zufrieden sind?

Figl: Es ist überhaupt noch nicht klar, ob wir, die Mitglieder des Verbandes, diesem Vertrag zustimmen werden. Das wird abgestimmt. Ich kann hier nur meine Haltung wiedergeben. Ich bin vehement dafür. Aus verschiedensten Gründen. Erstens ist das wirklich die letzte Möglichkeit einen Gesamtvertrag zu bekommen. Wenn wir den ablehnen, dann können wir nicht mehr mitverhandeln.

Picker: Ja wieso denn, wer sagt das?

Figl: Wenn wir ablehnen, haben die Krankenkassen die Möglichkeit, selbst etwas zu unternehmen.

Picker: Das drohen sie an.

Figl: Das ist Realität.

Picker: Das ist Erpressung.

Figl: Das ist keine Erpressung, sondern Realität. Die Krankenkassen sind unter Druck. Sie müssen sofort, wenn wir zu diesem Vertrag nein sagen, eigene Lösungen finden. Kriterien, Methoden und Diagnosenzuordnungen würden dann der Krankenkasse völlig überlassen bleiben. Auch wird voraussichtlich der Zuschuß von 300 Schilling, den derzeit Patienten beantragen können, extrem gekürzt oder sogar gestrichen.

dieFurche: So wie bisher würde es also nicht mehr weitergehen?

Figl: Nein, man darf nicht so naiv sein und glauben, daß, wenn wir jetzt nein sagen, alles so bleibt wie es jetzt ist.

dieFurche: Herr Picker, abgesehen von den Zusatzkriterien, würden Sie prinzipiell einen Vertrag mit den Krankenkassen anstreben?

Picker: Natürlich will auch ich einen Vertrag, aber keinen mit solchen Bedingungen. Ich habe für die Krankenkassen wenig Verständnis. Die Krankenkassen haben das Verhandlungsteam der Psychotherapeuten, und damit indirekt uns alle, erpreßt. Ihr Tenor: Entweder dieser Vertrag oder überhaupt kein Vertrag.

Das österreichische Psychotherapiegesetz von 1992 ist das sachlichste Gesetz weltweit, eine wirkliche Meisterleistung. Es geht nicht an, daß die Gebietskrankenkassen bestimmen, wie dieses Gesetz auszulegen ist.

Mein nächster Kritikpunkt ist, daß die Krankenkassen mit ihren Zusatzbedingungen die Ausbildung der Therapeuten um ein Jahr verlängern.

dieFurche: Würden Sie persönlich die Zusatzkriterien erfüllen?

Picker: Ich bin zwar Lehrtherapeut und Ausbildner, habe drei Methoden erlernt und jede Menge Erfahrung, würde aber herausfallen.

dieFurche: Frau Figl, wie ist Ihr Eindruck unter Kollegen. Stehen viele hinter diesem Vertragsentwurf?

Figl: Das kann ich jetzt noch nicht sagen, es hat erst die Informationsphase begonnen. Ich kann gut verstehen, daß nun die Wogen hoch gehen und viele empört und wütend sind. Aber wir haben glücklicherweise Zeit, die Kollegen zu informieren.

Picker: Man muß auch sagen, daß die 650 Schilling, die die Krankenkassen anbieten, zu wenig sind. Dabei kommt der Therapeut in die Situation eines Arztes: je mehr Scheine, desto mehr Einkommen. Die Psychotherapie braucht aber ein hohes Ausmaß an eigenverantworteter Freiheit, um überhaupt wirken zu können. Dieser Vertrag wird die Psychotherapie im herkömmlichen Verständnis allmählich ruinieren.

Figl: Wenn man das so sieht, dann muß man von jedem Vertrag die Finger lassen, von jeder Krankenkassenregelung. Denn es geht hier um öffentliche Gelder, das heißt auch Kontrolle. Ich möchte aber noch etwas zum Einkommen sagen. Ein Vertragspsychotherapeut muß rund 21 Stunden pro Woche zur Verfügung stehen. Damit verdient er umgerechnet etwa 65.000 Schilling brutto im Monat. Das ist nicht viel. Aber es ist auch nicht wenig.

dieFurche: Es ist für viele Menschen nicht nachvollziehbar, warum 65.000 Schilling brutto nicht viel sind.

Picker: Weil davon rund 40 Prozent abgehen, wenn man eine freie Praxis hat. Und man muß auch die Ausbildungskosten von 600.000 Schilling einbringen, den Krankenstand, den Urlaub, die Weiterbildung, die Supervisionen... Man muß als Therapeut ungefähr 100.000 Schilling im Monat einnehmen, um auf einen Gehalt eines Mittelschullehrer zu kommen.

Figl: Wir bräuchten eigentlich 900 Schilling pro Stunde, dann könnten wir überleben. Der Nachteil für uns ist: ein Arzt kann Scheine sammeln, wenn man das jetzt so sagen will. Über unsere Stunde fährt aber die Eisenbahn darüber, die bleibt immer eine Stunde.

Picker: Es geht mir darum, daß die psychotherapeutischen Methoden erhalten bleiben, daß der Patient nicht betrogen wird, daß es einen psychotherapeutischen Nachwuchs gibt. Während dieser Vertrag ein Modell vorsieht, das die therapeutischen Methoden auf lange Sicht ihrer Wirkung beraubt, die psychotherapeutischen Ausbildungsinstitute aushungert, die Therapeuten dezimiert. Und man kann nicht nach der Methode, "friß oder stirb" vorgehen.

dieFurche: Herr Picker, welchen Ausweg sehen Sie?

Picker: Man muß neu verhandeln. Daß die Krankenkassen kein Geld haben, daran ist nicht die Psychotherapie schuld, das kann man nicht an uns abwälzen.

Figl: Aber das geht nicht.

Picker: Es geht schon. Die Sozialversicherungsträger müssen nur wollen.

dieFurche: Aber wenn die Sozialversicherungsträger tatsächlich nicht wollen?

Picker: Gut, dann muß man das benennen. Das ist dann Erpressung. Es ist mir leid um die große Tradition der Psychotherapie, die auch eine gesellschaftsheilende Kraft hat und nicht nur einfach ein verwaltbares Ding ist.

dieFurche: Herr Picker, was sind Ihre Erfahrungen, die Sie unter Kollegen gesammelt haben?

Picker: Ich kenne in meiner ganzen Umgebung kaum jemanden, der die Kriterien erfüllt. Ich finde niemanden, der bereits lange arbeitet und den ich für gut halte, der um einen Kassenvertrag ansuchen kann. Und die Stimmung ist, soweit sie mir bekannt ist, schlecht. Ich werde mich natürlich der Mehrheitsentscheidung fügen. Auch sollen Menschen, die sozial schwach sind, unterstützt werden. Aber hier gibt es ganz andere Modelle als den berühmten Krankenschein. Man kann so eine Schlacht auch verlieren, das ist klar. Aber es zahlt sich aus, das nicht zu schlucken.

Das Gespräch führte Monika Kunit.

Zum Thema Ab Frühjahr 2000 soll es die Psychotherapie auch auf Krankenschein geben. Ein entsprechender Vertragsentwurf wurde zwischen dem Bundesverband für Psychotherapie und dem Hauptverband der Sozialversicherungsträger ausgearbeitet. Das wäre für Menschen mit geringem Einkommen eine Erleichterung, da für sie Psychotherapie (durchschnittlicher Stundensatz von rund 1.000 Schilling) bisher unerschwinglich war.

Viele Therapeuten lehnen den Vertrag allerdings ab. Begründung: nicht jeder Therapeut bekommt einen Kassenvertrag, denn die Sozialversicherungsträger bestehen auf sogenannten Einstiegs- oder Zusatzkriterien. So muß ein Psychotherapeut beispielsweise psychiatrische Erfahrung vorweisen können. Psychiatrie, so die Kritik, sei jedoch eine völlig andere Disziplin als die Psychotherapie. Die derzeitige Ausbildung zum Psychotherapeuten wird den neuen Anforderungen nicht gerecht.

Weiters sollen österreichweit nur 415 Kassenverträge abgeschlossen werden.

Derzeit können Psychotherapeuten einen beliebig hohen Stundensatz verrechnen. Die Krankenkassen gewähren den Patienten pro Therapiestunde einen Kostenzuschuß von 300 Schilling. Schließt der Therapeut einen Kassenvertrag ab, soll er 650 Schilling pro Sitzung bekommen, darf dem Patienten selbst aber keine weiteren Kosten in Rechnung stellen. Dieser Betrag sei jedoch bei weitem zu wenig, kritisieren die Therapeuten. Nun ist ein heftiger Streit darüber entbrannt, ob der Vertrag von den Therapeuten angenommen werden soll. kun.

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