"Menschenunwürdig und gefährlich"

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Die Regierung Australiens ist in der Flüchtlingsfrage äußerst restriktiv. NGOs decken immer wieder Missstände auf. Frauen und Kindern droht in den Flüchtlingslagern permanent Gewalt.

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Die Regierung Australiens ist in der Flüchtlingsfrage äußerst restriktiv. NGOs decken immer wieder Missstände auf. Frauen und Kindern droht in den Flüchtlingslagern permanent Gewalt.

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Am 31. Mai zerschellte ein mit 65 Flüchtlingen beladenes Schiff an der Küste der indonesischen Insel Landu. Die Passagiere wurden von lokalen Fischern gerettet. Ein nahezu alltägliches Ereignis in einer Welt, in der laut UNO 60 Millionen Menschen auf der Flucht sind. Was diese Flüchtlingstragödie von anderen unterscheidet, ist die Vorgeschichte. Denn die Überlebenden aus Sri Lanka, Burma und Bangladesch berichteten übereinstimmend, die Menschenhändler seien von der australischen Küstenwache bezahlt worden. Offiziere der Marine hätten dem Kapitän 31.000 US-Dollar zugesteckt, damit sie die unerwünschten Asylsuchenden aus den australischen Hoheitsgewässern befördern.

"Menschenschmuggel ist ein Akt des transnationalen organisierten Verbrechens", stellt Amnesty International lapidar fest und beruft sich auf das 2004 in Kraft getretene UN-Protokoll gegen den Schmuggel von Migranten zu Land, in der Luft und auf See. Es wird als Meilenstein im Kampf gegen den Menschenschmuggel gesehen, da erstmals die illegale Migration an sich nicht mehr als Verbrechen betrachtet wird. Australien hat dieses Protokoll ratifiziert. Aber die Art, wie das Land mit Flüchtlingen umgeht, spricht eine andere Sprache.

In Anhaltezentren

Bootsflüchtlinge werden in Offshore-Anhaltezentren in Papua Neuguinea und auf der Südseeinsel Nauru unbefristet interniert: Kleine Guantánamos für Schutzsuchende. Kinder lebten in australischen Internierungslagern an einem "gefährlichen Ort", wie die australische Menschenrechtskommission nach einer umfassenden Untersuchung konstatierte. Zwischen Jänner 2013 und März 2014 dokumentierte die Kommission 233 Fälle von gewaltsamen Übergriffen gegen Kinder, 33 Fälle von sexueller Gewalt und 128 Fälle von Selbstverstümmelungen durch Minderjährige. An die 30 Kinder hätten in dieser Zeit einen Hungerstreik begonnen. Ein Drittel der 257 auf Nauru, in Papua-Neuguinea und auf der australischen Weihnachtsinsel eingesperrten Kinder, so der Bericht mit dem Titel "Australiens vergessene Kinder", hätten psychische Schäden, die so schwerwiegend seien, dass sie einen Krankenhausaufenthalt bedingten. Von den 167 in den vergangenen zwei Jahren in Gefangenschaft geborenen Babys hätten viele Probleme mit dem Gehen, weil sie mangels sicherer Räume nie Krabbeln gelernt hätten.

Der früher für die Internierungslager zuständige Psychiater Peter Young sieht die australische Asylpolitik absichtlich so konstruiert, um "verletzbare Menschen zu schädigen". Wer die Lager besucht hat, beschreibt die Zustände als "menschenunwürdig" und "gefährlich". Es fehlte an Schutz vor der sengenden Tropensonne, an Trinkwasser oder an Nahrung. Vor allem Frauen und Kindern drohe chronisch Gewalt. Die meist muslimischen Frauen fühlten sich besonders unwürdig behandelt, berichtet ein Arzt. Es mangle an Monatsbinden und auf Nauru könnten Frauen nur durch einen Vorhang getrennt vor den Blicken der Männer duschen. "Das System ist aufgebaut, um die Leute dazu zu bringen, dass sie dahin zurückgehen, wo sie herkommen", so Peter Young in der taz. Gespräche mit Beamten bestätigten den Psychiater in der Annahme, dass die Brutalität "keine ungewollte Konsequenz, sondern ein integraler Teil des Systems ist".

Deportation nach Kambodscha

Die australische Regierung beruft sich zur Verteidigung ihrer Internierungspraxis auf das Migrationsgesetz, das vorsieht, dass Asylsuchende, die ohne Visum einreisen, in "Immigrationshaft gehalten werden müssen, bis ihnen ein Visum gewährt wird oder sie aus Australien abgeschoben werden".

Menschen, die weder in den Genuss eines australischen Asylbescheides kommen, noch in ihr Heimatland abgeschoben werden können, bekommen jetzt die Aufforderung, sich in Kambodscha anzusiedeln. Australien hat im April ein entsprechendes 40 Millionen US-Dollar schweres Abkommen mit dem südostasiatischen Land geschlossen. Flüchtlinge auf der Insel Nauru bekamen einen Brief, in dem ihnen die Ansiedlung im ehemaligen Bürgerkriegsland schmackhaft gemacht wird. "Ein Umzug nach Kambodscha", heißt es da, "bietet Ihnen und Ihrer Familie die Chance, ein neues Leben in einem sicheren Land zu beginnen, wo Sie ohne Verfolgung und Gewalt ihre Zukunft aufbauen können". Den Ausreisewilligen wird ihre zukünftige Heimat als multiethnische und multireligiöse Gesellschaft versprochen, wo sie ihre Kinder in die Schule schicken können, ein Bankkonto mit einem Startguthaben und eine Krankenversicherung bekommen werden. Man werde ihnen Sprachkurse anbieten und bei der Arbeitssuche helfen.

Diese Zustände will Elaine Pearson, die in Australien das Büro von Human Rights Watch leitet, nicht für bare Münze nehmen. Gegenüber dem Guardian bezeichnete sie Kambodscha als "weit entfernt von einem demokratischen Paradies in den Tropen". Transparency International führt das Land auf Rang 156 der 175 Staaten erfassenden Liste des Korruptionsindex. Außerdem, so Pearson, habe das Land "was den Schutz von Flüchtlingen und die Einhaltung der Menschenrechte angeht, einen schrecklichen Ruf."

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