"Eine Reaktion gegen die Individualisierung"

Werbung
Werbung
Werbung

Die Wiener Soziologin Carina Altreiter beschäftigt sich in ihrer Forschung mit dem Wandel in der Arbeitswelt und den Folgen, die damit für die Gesellschaft einhergehen. Im Interview erklärt sie, warum trendige Gemeinschaftsbüros eng mit unternehmerischem Sparzwang zusammenhängen und weshalb unsere sozialen Anerkennungsmodi verändert werden müssen.

DIE FURCHE: Wie wird das Phänomen "Co-Working-Space" aus soziologischer Sicht betrachtet?

Carina Altreiter: Die rechtliche und soziale Beziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ist heute vielfältiger als früher. Ursachen sind etwa die Flexibilisierung und Deregulierung der Beschäftigungsverhältnisse. Dieser Wandel vollzieht sich vor dem Hintergrund einer allgemeinen Veränderung der Arbeitsorganisation. In vielen Branchen werden Aufgaben ausgelagert, um Kosten zu reduzieren.

DIE FURCHE: Was bedeutet das für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer?

Altreiter: Für Beschäftige hat das ambivalente Folgen. Einerseits kann es einen Zugewinn an Freiheit und Autonomie bedeuten, was auch den Wünschen vieler Menschen entspricht. Andererseits bedeutet es oft mehr Unsicherheit und Risiko, womit nicht alle gleich gut umgehen können. Beispielsweise haben "freie Dienstnehmerinnen und Dienstnehmer" keinen bezahlten Urlaub, bekommen kein 13. oder 14. Gehalt. Werkvertragsnehmer müssen sich selbst um die benötigte Infrastruktur kümmern, sie wird nicht mehr vom Betrieb zur Verfügung gestellt. Der steigende Druck auf dem Arbeitsmarkt und die Angst vor Arbeitslosigkeit tragen letztlich dazu bei, dass sich viele Beschäftigte auf diese schlechten Bedingungen einlassen. Denn hinter ihnen stehen gefühlt 100 andere Bewerberinnen und Bewerber, die den Job gerne nehmen.

DIE FURCHE: Die fehlende Infrastruktur bieten wiederum "Shared Offices" an. Kommt daher der Boom?

Altreiter: Das ist sicherlich ein Faktor, aber auch die müssen ja bezahlt werden. Und natürlich geht es auch darum, nicht allein zu sein, soziale Kontakte zu haben. Für viele ist es auch ein Ort, an dem Kontakte für weitere Aufträge geknüpft werden können. Die Zwickmühle, in der scheinbar selbstständige Personen stecken, wird an diesen Orten weniger sichtbar.

DIE FURCHE: Inwiefern Zwickmühle?

Altreiter: Den freien Dienstnehmern und Freelancern wird Selbstständigkeit und Eigenständigkeit suggeriert. Sie sind ab jetzt Unternehmer, eine Ich-AG. Das heißt aber, dass sie sich um alles selbst kümmern müssen. Gleichzeitig befinden sie sich oft in einer Abhängigkeit gegenüber Auftraggebern, die eigentlich eher an klassische abhängige Arbeitsverhältnisse erinnern. Man ist gegenüber diesen in einer sehr schlechten Verhandlungsposition.

DIE FURCHE: Sind "Co-Working-Offices" aus soziologischer Sicht ausschließlich die Folge von Einsparungen in Unternehmen, die wiederum unzählige prekäre Beschäftigungsformen bedingt haben?

Altreiter: Das eine hängt eng mit dem anderen zusammen. Doch es ist bei weitem nicht die einzige Erklärung für das Phänomen. "Co-Working-Offices", die ja vor allem von der urbanen, jungen Generation genutzt werden, können auch als Reaktion gegen die Individualisierung gesehen werden. Schließlich geht es dort auch um Gemeinschaft. Diese Art von Arbeitsform ist allerdings nicht so neu, wie oft behauptet wird.

DIE FURCHE: "Co-Working-Offices" gab es immer schon?

Altreiter: Sicherlich nicht in dem Ausmaß wie heute und man nannte sie eben nicht so. Aber im künstlerisch-kreativen Bereich haben immer schon sehr prekäre Verhältnisse geherrscht. Es war auch früher nicht ungewöhnlich, sich ein Atelier oder eine Werkstätte zu teilen. Neu ist die wachsende Anzahl an Beschäftigten, die keine klassischen Unternehmensbedingungen mehr vorfinden. Und das betrifft heute viel mehr Branchen als nur den Kreativbereich.

DIE FURCHE: Wie wird es weitergehen mit der Arbeitswelt?

Altreiter: Es ist zu vermuten, dass die bereits zu beobachtende "Fragmentierung der Beschäftigen" - gut abgesicherte versus prekäre Jobs -weitergehen wird. Im Zuge dessen wird es auch Zuwächse bei subjektivierten Arbeiten geben.

DIE FURCHE: Was kann die Politik oder die Zivilgesellschaft dem entgegensetzen?

Altreiter: Status quo ist: die Produktivität wächst, gleichzeitig wird die Arbeitszeit verlängert. Stichwort Zwölf-Stunden-Tag. Das produziert langfristig Arbeitslosigkeit, vor allem wenn durch technologischen Fortschritt Arbeitsplätze wegfallen. Die Fragen der Zukunft werden deshalb sein: Wie kann soziale Absicherung und Existenzsicherung von Erwerbsarbeit entkoppelt werden? Wie können Anerkennungsmodi, die jetzt an Erwerbsarbeit hängen, neu organisiert werden? Ich denke dabei etwa an die Aufwertung von unbezahlter Arbeit wie Altenpflege oder gemeinnütziger Arbeit. Daran hängen auch Fragen der Ökologie. Stichwort "Non-Stop-Produktion". Ist das nützlich für die Gesellschaft oder stört sie eher unsere Grundlagen?

Carina Altreiter ist Soziologin an der Uni Wien. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören Arbeitssoziologie und sozialer Wandel.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung