Glauben, so eine gängige Redewendung, heißt nicht Wissen. Aber die Entgegensetzung von Glauben und Wissen ist ebenso vordergründig falsch wie hintergründig richtig. Zu fragen ist ja nicht nur, was "Glauben", sondern auch, was "Wissen" heißt.
Nach evangelischem Verständnis ist Glauben der biblische Begriff für Gewissheit. Die Gewissheit des Glaubens betrifft nicht unser Wissen über die objektiv beschreibbare Wirklichkeit, sondern die Frage nach dem Sinn, dem Grund und der Bestimmung dieser Wirklichkeit und unseres Daseins. Wir können auch sagen: der Glaube betrifft das Gewissen, das um Schuld und Vergebung ringt. Er ist der Erlösung und bedingungslosen Annahme durch Gott gewiss.
Diese Gewissheit gibt uns durchaus etwas zu wissen und zu denken. Nur gibt es verschiedene Arten des Wissens: theoretisches Wissen, technisch-praktisches Handlungswissen und religiöses Erlösungswissen. Der Gegensatz zwischen Glauben und Wissen ist also in Wahrheit ein Scheinkonflikt.
Recht verstanden schließen sich nicht einmal Glaube und Zweifel aus. Ein Mensch, der glaubt, ist nach Ansicht vieler durch keinen Zweifel zu erschüttern. Umgekehrt gilt Zweifel als ein Zeichen des Unglaubens.
Doch gibt es eine Form des Zweifels, nämlich die Kritikfähigkeit, die mit einem mündigen Glauben zusammengeht.
Der Zweifel kann aber auch eine Gestalt der Anfechtung sein, die nach biblischem Zeugnis zum echten Glauben dazugehört. Wir leben im Glauben, nicht im Schauen. Darum gibt es keinen zweifelsfreien Glauben, auch wenn nicht jede Form des Zweifels ein Zeichen von Glauben ist. "Ich glaube, hilf meinem Unglauben!" lautet der paradoxe Ausruf eines Menschen im Neuen Testament, der bei Jesus Hilfe sucht. Zur Erfahrung letzter Gewissheit gehört, dass alle falschen Sicherheiten schwinden.
Ulrich H. J. Körtner ist Professor für Syste-matische Theologie H.B. an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien.
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