Im Schatten des Staates

Werbung
Werbung
Werbung

Barbara Coudenhove-Kalergi die furche 16. 9. 1999

Intellektuelle sind Kinder der Aufklärung. Von ihr haben sie gelernt, Autoritäten anzuzweifeln, scheinbar unumstößliche Wahrheiten zu hinterfragen, an politische Entscheidungen den Prüfstein der Moral zu legen. Sie sind unbequem, aber für ein demokratisches Gemeinwesen unentbehrlich. Sie sind wie ein Seismograph für Demokratie, denn sie brauchen Demokratie wie die Luft zum Atmen. Wo autoritäre Regime sich zeigen, sind die Intellektuellen die ersten, die das schmerzlich spüren.

Frankreich, die Heimat Voltaires, war und ist die klassische Heimat der Intellektuellen. In Frankreich genießen diese nach wie vor das höchste Prestige. Was die Philosophen zu aktuellen Fragen denken, drucken nicht nur Fachzeitschriften, sondern auch Tageszeitungen und Magazine. Meisterdenker wie André Glucksmann und Bernard Lévy sind in ihrer Heimat Stars.

Österreich ist anders. Österreich ist katholisch geprägt und im Lande des Bündnisses zwischen Thron und Altar waren kritische Menschen seit jeher nicht populär. Gescheite Leute gab es wohl, aber sie verstanden ihre Aufgabe eher als Dienst an Staat und Kirche als in der Kritik an diesen Institutionen. Wer mit der Obrigkeit in Konflikt geriet, hatte es schwer und erlitt gemeinhin das, was in der Literatur als "österreichisches Schicksal" bekannt ist. Dieses bestand oft in Emigration oder Scheitern. Die Liste ist lang. Sie reicht von den Jakobinern bis zu den emigrierten jüdischen Intellektuellen, die Österreich nach 1945 um alles in der Welt nicht wieder zurückhaben wollte.

Österreichs Intelligenz lebt in ihrer Mehrheit direkt oder indirekt vom Staat. {...} Große Unternehmer, die gute Köpfe brauchen können, und Mäzene, die Künstler und Autoren fördern, sind rar. Es gab sie in der "goldenen Epoche" um die Jahrhundertwende, als das emanzipierte jüdische Bürgertum eine kurze Blüte erlebte. Das Kommen Hitlers hat nicht nur unter den österreichischen Intellektuellen tabula rasa gemacht, sondern auch unter ihrem Publikum und unter denen, die sie unterstützten. {...}

Und heute? Glanzvoll ist die intellektuelle Szene noch immer nicht, aber sie kann sich sehen lassen. Das hat damit zu tun, daß die Medienvielfalt reicher geworden ist. Profil, News, Format, Standard und Falter pflegen den Diskurs, drucken kontroversielle Meinungen und geben unkonventionellen Autoren ein Forum. Auch in anderen Printmedien sind Gastkommentare üblich geworden.

Und noch etwas ist neu. Langsam finden sich Menschen aus universitärem Milieu, die aus ihrem Elfenbeinturm heraustreten und bereit sind, sich in der Öffentlichkeit zu artikulieren. Die Philosophen Rudolf Burger und Konrad Paul Liessmann sind Beispiele.

Anders als etwa in England, wo jeder Professor allgemeinverständliche Artikel schreiben kann und das tut, war in Österreich die Mauer zwischen Wissenschaft und Journalismus lange undurchdringlich. Allmählich wird sie durchlässiger, zum Nutzen des Niveaus der öffentlichen Auseinandersetzung.{...}

Eine vieler erfreulicher Folgen des eu-Beitritts ist eine gewisse Normalisierung. Österreich ist weltläufiger, europäischer. Niemand muß sich in Dissidentenpose werfen, wenn er eine fundierte Meinung kundtun will. Für ein kleines Land mit einer ungünstigen Tradition für intellektuelle Auseinandersetzung, ist die Bilanz eigentlich gar nicht so schlecht.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung