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Sind die Katholiken „dümmer“?

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Seit Georg von Hertling im Jahre 1896 vor der Görres-Gesellschaft einen Vortrag über den Bildungsrückstand der deutschen Katholiken hielt, kam dieses Thema nicht mehr zur Ruhe. Tatsächlich: vom Beginn des 19. Jahrhunderts an bis in unsere Tage läßt sich nachweisen, daß der Anteil der deutschen Katholiken an Akademikern bei weitem nicht ihrem Beyölkerungsanteil entspricht. Statistische Vergleiche ergaben sogar, daß die Zahl der katholischen Hochschüler prozentuell dauernd leicht absinkt.

Der Anteil der Katholiken an der westdeutschen Bevölkerung betrug nach der Volkszählung von 1950 43,8%, der der Protestanten 52,2%. Demnach müßten also (theoretisch) 43,8% der Hochschüler Katholiken, 52,2% Protestanten sein. Es studierten aber z. B. im Wintersemester 1951/52 nur 39,8% Katholiken an den Hochschulen; diese Zahl sank bis zum Wintersemester 1963'64 auf 34.2% ab. Umgekehrt studierten 1951/52 56,1% Protestanten — also fast 4% mehr, als dem „konfessionellen Proporz“ entspricht; diese Zahl stieg bis 1963/64 auf 61,1% an, womit die Protestanten ihr „Soll“ um fast 9% übersteigen. Die angedeutete Entwicklung hält bis heute an.

„Sind die Katholiken dümmer?“ fragen manche geradeheraus.

Man ist den Gründen für dieses katholische „Bildungsdefizit nachgegangen. Da zeigt sich zunächst ein geschichtlicher Faktor: Zu Beginn des 19. Jahrhunderts gingen durch die Säkularisation des Kirchenver-mögens die katholischen Klöster, Schulen und Universitäten verloren. Auch entsprach es der preußischen Politik, in den katholischen Ländern die höheren Staatsämter mit (protestantischen) Preußen zu besetzen. Damit schwand für die Katholiken der Anreiz zum Studium, das noch außerdem von der Kirche widerraten wurde. (In England verboten die kirchlichen Behörden gegen Ende des vergangenen Jahrhunderts den Katholiken sogar den Besuch der Universitäten!) Einen weiteren Rückgang brachte der Kulturkampf und das Verbot des Jesuitenordens.

Zugleich mit diesen politischen Maßnahmen vollzog sich eine soziologische Umschichtung der Bevölkerung. Auch heute noch stammt ein großer Teil der Hochschüler aus Familien von Akademikern, Beamten und Angestellten. Die Beamten zum Beispiel, die derzeit in Westdeutschland 5% der Bevölkerung ausmachen, stellen 34% der Studenten; die freien Berufe mit 2% der Bevölkerung stellen 15% der Hochschüler; die Angestellten machen 18% der deutschen Bevölkerung aus, ihre Söhne aber 26% der Hochschulstudenten.

Mit der Verdrängung der Katholiken aus diesen Berufen mußte auch die Zahl derer sinken, die an den Hochschulen studierten. Noch heute sind die deutschen Katholiken vorwiegend in sozial niedrigeren, damit zugleich wirtschaftlich schwächeren Berufen tätig. Sie stellen einen Großteil der Arbeiter und Bauern. Je höher die soziale Stellung, um so größer der Anteil der evangelischen Christen. Diese dominieren vor allem in leitenden Stellungen. Nun besteht erfahrungsgemäß in Arbeiterkreisen eine noch immer nicht überwundene Abneigung gegen das akademische Studium der Söhne und Töchter, da es als milieufremd empfunden wird.

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