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Osterreichische Spuren am äußersten Rande Europas

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Eine Brücke zwischen Religionen, Völkern, Kulturen ist das österreichische St. Georgs-Kolleg in Istanbul, das Bundespräsident Klestil jetzt besuchte.

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Eine Brücke zwischen Religionen, Völkern, Kulturen ist das österreichische St. Georgs-Kolleg in Istanbul, das Bundespräsident Klestil jetzt besuchte.

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Wie die großen Brücken über den Bosporus, die das auf dem europäischen Festland liegende Istanbul mit dem asiatischen Landesteil verbinden, so soll das St. Georgs-Kolleg der österreichischen Lazaristen und das angeschlossene Spital der Barmherzigen Schwestern eine Brücke zwischen der christlichen Lehre und jener des Islam, aber auch zwischen Österreich und der Türkei sein. Die der ältesten und größten österreichischen Auslandsschule gestellte Aufgabe besteht jedoch nicht im Versuch einer „Bekehrung” der vorwiegend islamischen Kinder zum christlichen Glauben, sondern ist vielmehr als eine Art diplomatische Mission zu verstehen. „Unsere Aufgabe ist als ein Dienst zu verstehen, der verbindet und zusammenführt, und durch den Menschen verschiedener Völker und Religionen lernen sollen, daß sie als Mitmenschen geschwisterlich zusammenleben können”, so der Österreich-Provinzial Franz Kangler im Gespräch mit der FURCHE.

„Wichtig ist demnach die Kontaktpflege über Religionen (Moslems, Juden und Christen orientalischer Kirchen), Kulturen und Staaten hinweg, das Aufeinanderzugehen und das gegenseitige Verständnis”, erläutert er. Franz Kangler lebt seit 19 Jahren in Istanbul, wurde 1983 zum Schuldirektor ernannt. Von der Stadt am Bosporus aus nimmt er seit zwei Jahren auch seine Aufgaben in der österreichischen Provinz wahr. Grund dafür ist für die Lazaristen, die damit das Werk des Gründers der Kongregation der Mission (CM), des Franzosen Vinzenz von Paul, fortsetzen, die Bedeutung der Arbeit sowohl in Istanbul als auch in Österreich.

Stipendien: Opfer des Sparpakeis

Das St. Georgs-Kolleg entstand im vergangenen Jahrhundert aus der Notwendigkeit der schulischen Unterweisung von Gastabeiterkindern in Istanbul. Es war zunächst nur für die Kinder Deutschsprachiger in dieser Stadt gedacht und entwickelte sich allmählich zu einer Elite-Schule auch für türkische Schüler. 1995/96 waren 99 Prozent der rund 1.000 Schüler und Schülerinnen von Gymnasium, Realgymnasium und Handelsakademie türkische Staatsbürger.

Der Unterricht erfolgt nach türkischen Bestimmungen, wird durch den österreichischen Lehrplan ergänzt und mit der türkischen Reifeprüfung abgeschlossen. Je nach Unterrichtsfach wird in deutscher (75 Prozent) oder türkischer (25 Prozent) Sprache gelehrt. Provinzial Kangler kann stolz auf eine Neuerung verweisen: Ende Mai konnten die ersten zehn türkischen Schüler zusätzlich zum türkischen das österreichische Maturazeugnis erwerben. Neu ist darüber hinaus Türkisch als Prüfungsgegenstand bei einer österreichischen Reifeprüfung.

Angesichts eines mit 20.000 Schilling im Jahr für türkische Verhältnisse hohen Schulgeldes würde sich Provinzial Kangler für etliche seiner türkischen Schüler und Absolventen mit ausgezeichnetem Lernerfolg Sponsoren etwa aus der österreichischen Wirtschaft für Studien-Stipendien an einer österreichischen Hochschule wünschen. Der Direktor sähe darin eine gute Möglichkeit der Kontaktanbahnung für die österreichische Wirtschaft mit Interessen in der Türkei. Bedauernd merkt er in diesem Zusammenhang an, daß bisher vom Wissenschaftsministerium vergebene Stipendien dem Sparpaket zum Opfer gefallen seien. Der Schulleiter weist darauf hin, daß aus dem St. Georgs-Kolleg etwa die erste weibliche Gouverneurin und Parlamentsabgeordnete sowie - der jüngst zurückgetretene, noch amtierende - Ministerpräsident Masut Yilmaz oder der jüngste Universitätsprofessor in Linz, Niyazi Ser-dar Sariciftci, hervorgegangen seien.

An das Kolleg ist das von den Barmherzigen Schwestern der Provinz Graz geführte Spital angeschlossen. Das seit 125 Jahren bestehende „Sen Jorj Hastahanesi” mit seinen über 70 Betten, Fachabteilungen und einer ausgedehnten Ambulanz wird jährlich von mehr als 70.000 Patienten frequentiert, vor allem aus der armen Bevölkerungsschicht Istanbuls. Für die geistlichen Schwestern stellt das Spital, das nach einer Generalsanierung diese Woche von Bundespräsident Thomas Klestil anläßlich seines Staatsbesuches in der Türkei eröffnet wird, nicht nur eine Institution für Hilfesuchende dar, sondern ist für sie auch ein Zeichen der Gemeinschaft in einem moslemischen Land und somit ein wichtiges völkerverbindendes Element.

Völkerverbindendes Element

Zum Gebäudekomplex, der 1882 von den Lazaristen übernommen wurde, gehört auch die dem heiligen Georg gewidmete Kirche. Einer Legende zufolge soll Irene, die Tochter des oströmischen Herrschers Licinus, an diesem Ort im 4. Jahrhundert enthauptet und ihr Kopf in den Brunnen geworfen worden sein. Heute ist das Taufbecken der Kirche über dem Brunnen angebracht. Der Innenraum wurde gemäß den Bestimmungen des II. Vatikanischen Konzils von Professor Anton Lehmden, einem Vertreter der Wiener Schule des Phantastischen Realismus, neu gestaltet und mit Bildern versehen.

Im Zuge einer Teilrenovierung im Vorjahr durch Fritz Habegger entwarf Lehmden für die Kirche noch ein Mosaik mit einem Symbol des Hl. Geistes und transferierte das von ihm schon früher gemalte große Kreuzigungsbild in die Mitte des Kirchenraumes. Daß das Bild des Gekreuzigten nunmehr im Mittelpunkt steht, ist für Provinzial Kangler auch symbolisch für das Werk der Lazaristen in Istanbul.

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