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Osterreichische Schulen in der TUrkei.

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In^iner der ältesten Gassen unterhalb des Galaturmes, dieses mächtig aus dem Häusergewirr aufragenden alten Wahrzeichens des östlichen Istambuls, in der Tschinar sokak, der „Platanengasse“, liegt das österreichische St.-Georgs-Kolleg. Vor 65 Jahren von der Kongregation der österreichischen Lazaristen begründet, wird es auch heute noch von diesen betaut, Kirche und Kolleg liegen nur wenige Minuten vom Goldenen Horn und der Galatabrücke entfernt. Aus dem fröhlichen Kinderbetrieb der zahlreichen in diesem Viertel befindlichen Volksschulen kommt man schon nach wenigen Schritten über jahrhundertealte Steinstufen mitten in das neue Istambuler Bankenviertel, in das Zentrum der einstigen Genuesenkolonie Galata.

Der Ursprung der St.-Georgs-Kirche verliert sich ins Legendenhafte. Nach der Geschichte des Kollegs, die Superior Johann Legerer 1915 verfaßte, soll sich am Platze der jetzigen Kirche zur heidnischen Zeit ein Tempel mit einer dem Apollo geweihten Quelle befunden haben, an der unter der Herrschaft des Kaisers Trajan die hl. Irene den Märtyrertod fand. Ihr Andenken wird noch alljährlich am 5. Mai gefeiert. Im frühen Mittelalter wurde der Tempel in eine der Blutzeugin geweihte Kirche umgewandelt, die später von genuesischen Kaufleuten erworben und zu Ehren des hl. Georg, des Schutzpatrons ihrer Heimatstadt, benannt wurde, da sich im nahen Top-Han bereits eine der hl. Irene geweihte andere Kirche befand. In einem Dekret des Kaisers Andronikus II. vom 1. Mai 1303, das die Grenzen des den Genuesen überlassenen Gebietes von Galata bestimmte, werden die Kirche des hl. Georg und der damals angeschlossene'Friedhof zum erstenmal urkundlich erwähnt. Die Kirche war damals Sitz eines Bischofs, und das Fest des hl. Georg als Patronats- und Nationalfest der Genuesen wurde alljährlich mit . großer Feierlichkeit begangen. Der Brunnen der hl. Irene wurde von der Kirche überbaut.

Das Mittelalter war für den Besitz von St. Georg voll wechselvoller Schicksale. Die Chronik bericJitet, daß mit der Kirche schon frühzeitig eine Schule verbunden war. Vorübergehend betreuten die Jesuiten und Dominikaner St. Georg, dann, von 1587 an, der' französische Kapuzinerorden. 1660 warf ein verheerender Brand in wenigen Stunden ganz Galata in Schutt und Asche; sechs Kirchen, unter ihnen auch St. Georg, fielen den Flammen zum Opfer. Unter vielen Schwierigkeiten gelang den Kapuzinern anderthalb Jahrzehnte später der Wiederaufbau, der neben der Elementarschule auch für eine Sprachschule, in der Dragomane (Dolmetscher) in sechs Sprachen ausgebildet wurden, Raum schuf., 1783 verkauften sie, nach über 150-jährigern- Wirken in St. Georg, Kirche und Schule an den Apostolischen Vikar von Konstantinopel, Mgr. Frachia, auf Rechnung der Propaganda fidei, so daß nun St. Georg bischöfliche Residenz wurde. Doch neue Hausherren kamen. 1853. erwarben die bosnischen Franziskaner Kirche und Haus, um von hier aus die südslawische, namentlich aus Dalmatinern bestehende Kolonie in Konstantinopel zu betreuen; sie gerieten jedoch in finanzielle Schwierigkeiten, und St.-Georg wurde an die österreichische Regierung vermietet, die damit nichts Besseres anzufangen wußte — man tappte damals in Liberalismus herum und fürchtete sich vor jedem Kloster —, als hier ein Marinespital und ein Gefängnis einzurichten. Bald entdeckte man, daß man eine schlechte Wahl getroffen hatte, verlegte Marinespital und Gefängnis an andere Orte^nd überließ Haus und Kirche dem Verfi^. Es waren französische Lazaristen aus dem nahegelegenen St. Benoit in Galata, die sich einen Mitbruder aus Österreich holten, da die Ansied-lung österreichischer und deutscher Katholiken immer mehr zunahm und ihre seelsorgerliche Betreuung nach heimischen Kräften verlangte. Die österreichischen Lazaristen blieben in Erkenntnis der sie hier erwartenden Aufgabe nicht auf halbem Wege stehen. Das Verdienst ihres Wiener Ordenshauses wurde es, daß 1882 der Ankauf der Baulichkeiten von St. Georg und ihre Rettung vor dem drohenden Verfall erfolgen konnte. Von dem Grazer Ordenszentrum aus wurde fortan der planmäßige Aufbau dieser österreichischen kulturellen Pflegestätte geleitet.

In der St.-Georgs-Kirche wurde nun der Gottesdienst mit Predigten in deutscher Sprache abgehalten und nebenan zur rechten Seite der Kirche eine Knaben- und zur linken eine Mädchenschule, verbunden mit einem kleinen Waisenhaus, eingerichtet. Die Grazer Barmherzigen Schwestern übernahmen in der Nähe von St. Georg, nur durch eine Gasse getrennt, ein Privatspital, daneben auch noch die Pflege im österreichischen Spital in Pera und im türkischen Spital in Üsküdar, deren Seelsorge von St. Georg aus versehen wurde. Damit war der Grund zu dem heutigen österreichischen St. Georgs-Kolleg gelegt, dessen Schülerzahl so rasch wuchs, daß ein dreistöckiger Bau oberhalb der Kirche und der Ankauf des Nachbarhauses im Jahre 1899 nötig wurden. Seit dem Jahre 1891 sind es ausschließlich Lazaristen aus Österreich und aus dem Gebiet der früheren Monarchie, die in St. Georg wirken. Der erste Superior P. Josef Jarosch, der im Jahre 1900 starb, war gebürtiger Wiener.

Um die Jahrhundertwende wurde das Kolleg durch die Errichtung einer Mittelschule vom Realschultyp und einer zwei-klassigen* Handelsschule erweitert. Ständig wuchs die Zahl von Schülern aller Nationalitäten in den sehr populär gewordenen St.-Georgs-Schulen. Die weitere Entwicklung ergab das Kolleg in seiner heutigen Form: um die St.-Georgs-Kirche als den Kern gelagert, rechts davon und dahinter die Knabenschule, links die Mädchenschule mit dem anschließenden Waisenhaus, durch“ eine Gasse von der Knabenschule getrennt das St.-Georgs-Spital. Die Mädchenschule, von Schwestern geleitet, umfaßt Volk.sschulklassen, Vorbereitungsklassen für nicht deutschsprechende Kinder, die die Haupt-, beziehungsweise Mittelschule (entsprechend einer österreichischen Unter-Mittelschule) besuchenwollen, sowie eine dreiklassige Hauptschule (Ober-Mittelschule). Angeschlossen ist noch ein Mädchen-Handelskurs. Die Knabenschule besteht, neben den Vorbereitungsklassen, aus dem Knaben-Lyzeum nach Realschultyp und einer Handelsakademie mit öffentlicher Reifeprüfung. Das Knaben-Lyzeum von St. Georg erhielt schon im Jahre 1911, als Botschafter Markgraf Pallavicini die österreichisch-ungarische Monarchie bei der Hohen Pforte vertrat, von der Wiener Regierung das öffent* lichkeitsrecht zuerkannt, ein Privileg, das im Jahre 1916 auch die türkische Regierung der Anstalt einräumte. Nach dem ersten Weltkrieg ergab sich für St. Georg eine kritische Rechtslage, die den Bestand dieser österreichischen Institute, eine wichtige Verankerung österreichischer Interessen am Goldenen Horn, in Frage zu stellen drohte: der Superior von St. Georg, auf dessen Namen das Eigentum geschrieben gewesen, war gestorben und nach türkischem Recht konnte das Eigentum nur an einen Verwandten und nicht an eine Gemeinschaft weitergegeben werden. Der Geschicklichkeit •des damaligen österreichischen Gesandten Kral gelang es, die gefährliche Klippe zu umschiffen und St. Georg als Vorposten österreichischer Kultur zu bewahren.

Das Hitler-Regime entzog den Schulen von St. Georg das öffentlidikeitsrecht, um sie zugunsten der Deutschen Schule in Istambul auszulöschen. Mit dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen der Türkei und Deutschland Anfang August 1944 wurden neben anderen Österreichern und Deutschen, denen das weitere Verbleiben in der Türkei gestattet worden war, auch alle Angehörigen von St. Georg in Zentral-anatolien, in den Ortschaften Yozgat, Tschorum oder Kirschehir interniert. Doch taten die türkischen Landesbehörden und die Bevölkerung alles, um den Internierten diesen 16monatigen Aufenthalt im Landesinnern zu erleichtern. Auch in dieser Zeit der Internierung pflegten die Ordensleute von St.-Georg die Karitasarbeit und Seelsorge weiter und wirkten trotz der Bescheidenheit der eigenen Mittel durch Ausspeisung Altersschwacher und Bedürftiger, durch Krankenpflege, Kinderbetreuung und durch die seelische Aufmunterung der oft in Kleinmut verfallenen internierten „Kolonisten“ in so verdienstlieber Weise, daß ihnen allgemein Anerkennung gezollt wurde und die Gottesdienste und karitativen Veranstaltungen des österreichischen „Klosters“, dessen Kern sich in Yozgat befand, von Angehörigen aller Nationen und Glaubensbekenntnisse besucht waren.

Das St.-Georgs-Kolleg in Istambul war mit der Internierung. der Sperre und Sequestrierung verfallen, doch darf man hoffen, daß die Wiedereröffnung des Kollegs schon mit Beginn des neuen Schuljahrs erfolgen wird. Neben den Schulschwestern und geist-lidien Lehrkräften wirken im St.-Georgs-Kolleg auch weltliche Lehrer, vor allem türkische für die nationalen Fächer, wie türkische Sprache, Geschichte, Geographie, Heimatkunde und militärische Übungen für Knaben.

Der Österreicher, der Konstantinopel noch aus der Zeit vor dem ersten Weltkrieg kannte, findet heute viele Zeichen österreichischen Besitztums und österreichischer Geltung nicht mehr vor; nicht mehr das eigene österreichische Postamt, das mit österreichischen Levantebriefmarken einen. Postverkehr mit der ganzen Welt vermittelte, nicht mehr den Palast des österreichischen Lloyd, auch nicht am Bosporus den vornehmen Sommersitz eines k. u. k. Botschafters und das kleine Kriegschiff einer k. u. k. Flotte, das als „Stationär“ vor Galata ankerte. Alle diese Merkmale einstiger Großmachtstellung sind verschwunden. Aber in Blüte stehen noch die österreichischen Schulen, und die Werke helfender Liebe, geschart um die Kirche von St. Georg, als wollten sie symbolhaft sagen, daß stärker und dauerhafter als die Instrumente der staatlichen Macht die Werke des geistigen Schaffens die Zukunft Österreichs verbürgen.

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