Das Heilige im Menschen

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Was ist heilig? Was ist tabu?

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Was ist heilig? Was ist tabu?

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Nachdem Gott Adam erschaffen hatte, befahl er den Engeln, sich vor Adam niederzuwerfen: "Und damals sagte dein Herr zu den Engeln:, Ich werde einen Menschen erschaffen'. Wenn ich ihn dann geformt und ihm von Meinem Geist eingehaucht habe, dann werft euch vor ihm nieder!" (Koran 15:28f). Doch vor dieser Aufforderung gab Gott Adam die Fähigkeit, die Welt kognitiv zu erschließen. Der Koran drückt dies so aus: "Und Gott lehrte Adam alle Namen." (2:31)

Diese Schilderung symbolisiert zwei Aspekte des Menschen, die heilig sind: der göttliche Geist, der ihm innewohnt, und die menschliche Vernunft. Beides stammt von der gleichen Quelle: Gott.

Daraus ergibt sich, dass alles, was ein würdevolles Leben des Menschen verletzt oder seine Vernunft missachtet, tabu ist. Viele Muslime setzen Dinge in ihrem Alltagsleben als heilig und andere als tabu, die es als solche in der Religion keinesfalls sind. Das Kopftuchgebot etwa ist Teil einer Kleidervorschrift im Islam, die den Sinn hat, die Frau vor "lüsternen" Blicken der Männer zu bewahren und damit ihre Würde zu schützen. Heute betrachten viele Muslime jedoch das Kopftuch an sich als heilig, die Würde der Frau wird in vielen muslimischen Gesellschaften hingegen kaum geachtet.

Viele muslimische Theologen setzen Gelehrtenmeinungen aus dem 10. Jh. als heilig und jede kritische Auseinandersetzung mit der islamischen Ideengeschichte als tabu. Islamische Reformbewegungen stehen heute daher vor der Herausforderung, den Menschen in den Mittelpunkt der Überlegungen zu rücken und Heiliges sowie Tabus hinsichtlich der Gestaltung eines würdevollen Lebens aller Menschen neu zu bedenken. Eines Menschenlebens, vor dem sich nach Gottes Anweisung die Engel niederwarfen.

* Der Autor ist Islamwissenschafter und Imam in Wien

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