Der Religionen Erklärungsbedarf

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Karl Barth, ein Chefprotestant, war der Auffassung, christlicher Glaube sei keine Religion. Wenn keine Religion, was dann? Nach Barth ist christlicher Glaube das radikale Eingeständnis der eigenen Geschöpflichkeit und damit der Unüberbrückbarkeit einer unendlichen Differenz: zwischen göttlicher und menschlicher Sphäre. Und dann: das immer neu dankbare Staunen angesichts der nicht versteh- und darstellbaren, dennoch geschehenen Offenbarung der Barmherzigkeit des Ich bin da (Ex 3,14) in Jesus Christus .

Warum keine Religion? Weil jede Religion sich anmaßt, GOTT, das schlechthin unvermittelbar Andere, in menschliches Brauchtum einzubinden. Weil sie überkommenen Zeichen - einer Reise, einem Tauchbad, einem fehlenden Stück Männerhaut, historisch gewachsenen Ritualen - zutraut, das Unmögliche zu vollbringen: GOTT ins Leben hineinzuziehen, den Abstand zwischen Schöpfer und Geschöpf zu verringern. Mehr als einmal hat mir das paradoxerweise mantraartige Beharren des Basler Altmeisters der Wort-Gottes-Theologie den letzten Nerv geraubt: Komm runter, Mann! Wir sind und bleiben kulturell geprägte Wesen! Was überhebst du dich über sinnstiftende Praxis, die Menschen Halt gibt in weiß GOTT haltlosen Zeiten?

Aber doch steht die Frage im Raum: Ist in unseren kontingenten Formen religiöser Selbstvergewisserung GOTT präsent?

Diesseits eines unsachgemäßen - im Übrigen nicht neuen - "hämischen Abqualifizierens“ (Homolka) religiöser Praxen könnte die Frage des Dialektikers notwendige interne Debatten der Religionsgemeinschaften inspirieren: Sollten wir einer mit guten Gründen skeptischen Öffentlichkeit womöglich doch erklären, was unsere nach innen identitätsstiftenden, nach aussen unverständlich gewordenen uralten heiligen Handlungen eigentlich zu bedeuten haben?

* Die Autorin ist Schriftstellerin u. evang. Theologin in der Schweiz

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