Ein Pionier des Cyberspace

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Die beiden jungen Maler tragen Bluejeans und sehen gesund aus. Vielleicht besitzen sie eine Seele und wissen, was sie tun. Das ist noch nicht ganz klar.", ätzt 1961 ein Kritiker angesichts der Werke von Günter Brus und Alfons Schilling. Daß letzterer nicht nur den Bildbegriff, sondern auch die menschlichen Sehgewohnheiten revolutioniert hat, veranschaulicht - im wahrsten Sinne des Wortes - die Retrospektive "Ich/Auge/Welt - The Art of Vision" in der Kunsthalle Krems.

Alfons Schilling, 1934 in Basel geboren, absolviert zunächst - auf Wunsch der Eltern - eine Banklehre. 1956 kommt er nach Wien an die Hochschule für angewandte Kunst, wo er Graphik und Malerei studiert. Er lernt Günter Brus kennen, mit dem er eine Zeitlang intensiv zusammen-arbeitet. Während jedoch Brus' Interesse zunehmend dem Körper gilt, konzentriert sich Schilling auf das Auge - ist doch für ihn Sehen "die Erfüllung der Sehnsucht, außer sich zu sein".

Die in Paris 1961/62 entstandenen "Rotationsbilder" - riesige, mit Leinwand bespannte Holzscheiben, die während des Malvorganges von Elektromotoren in Schwung gehalten werden - sind nur der Anfang von Schillings Experimenten mit der Wahrnehmung. Damals schreibt er: "Ich habe meine Scheibe auf 50 Umdrehungen gesteigert. Es ist fast zum Verrücktwerden, so toll. Ich wette fast, es ist meine Flucht aus dem Abendland." Diese radikale Befreiung des Bildbegriffs, daß das Bild nämlich zur kinetischen Skulptur wird, stürzt Schilling tatsächlich in eine Schaffenskrise, und er übersiedelt nach New York. Erst die 1967 gemeinsam mit dem Wissenschaftler Don White durchgeführten Unter-suchungen zur Holographie regen ihn zu neuen, photographischen Experimenten mit dem "Lippmann-Linsen-Raster" an: Er ist fasziniert von der Rolle des Betrachters, der, indem er sich hin und her bewegt, die bis zu 30 in einem einzigen Bild gespeicherten, anderen Bilder aktiviert und sichtbar macht.

Mit seinem stereoskopischen Videosystem, das dem Betrachter ermöglicht, in Echtzeit in einen lebensgroßen, dreidimensionalen, "virtuellen" Raum einzutauchen, hat Schilling bereits 1973 eine Vision von Cyberspace. Solche "Videoaugen" macht er auf einer Zeichnung Andrea Mantegna, der in der Renaissance die Raumillusion bis zur Wirklichkeitsnähe perfektionierte, zum Geschenk: "Ich habe mir einfach vorgestellt, wie der sich über das Gerät gefreut hätte." Auch die jüngeren Arbeiten des seit 1986 wieder in Wien lebenden Künstlers (er war bis 1990 Gastprofessor an der Hochschule für Angewandte Kunst in Wien) sind mit bloßem Auge nicht erlebbar.

Die "autobinären Stereobilder" etwa öffnen sich erst bei Betrachtung mit einem Prismenmonokel zu drei-dimensionalen Räumen. Die "Sehmaschinen" - mit unterschiedlichem technischen Aufwand hergestellte Apparate - widerlegen auf poetische Weise unsere Wahr-Nehmung : Sie spiegeln nach rechts, was links ist, sie rücken in die Ferne, was wir in der Nähe glauben - Man sollte eben den Augen allein nicht trauen.

Bis 8. Februar

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