Eine Transaktion als Sensation

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Mit Bedˇrich Smetanas Oper "Die verkaufte Braut“ präsentieren Nikolaus Harnoncourt und sein Sohn Philipp eigentlich eine veritable Uraufführung.

Nikolaus Harnoncourt macht keine halben Sachen. Er geht in Prag in die Smetana-Bibliothek und findet eine deutsche Übersetzung von Emanuel Züngel aus dem Jahr 1869, von Smetanas eigener Hand in einen Klavierauszug eingetragen, mit roter Tinte und daraus resultierenden kompositorischen Verbesserungen. Denn der trochäische und mitunter daktylische Sprachrhythmus des tschechischen Textes wirkt stellenweise holprig. Kein Wunder übrigens, denn Smetana wurde in deutscher Sprache erzogen, die erste tschechische Grammatik war in Deutsch verfasst, und Smetanas Schwierigkeiten mit der tschechischen Sprache - nicht nur in der musikalischen Prosodie - sind verbürgt. Also bekam die styriarte in der Grazer Helmut-List-Halle nun, anno 2011, eigentlich eine veritable Smetana-Uraufführung.

Ungeahnte Finesse

Doch der Genius Loci, Harnoncourt, hat noch mehr Pfeile im Köcher: Die genaue Beachtung von Smetanas Metronomangaben lässt die angeblich heitere Folklore-Oper zu einem tiefgehenden, hochdramatischen Belcanto-Werk von ungeahnt ernster, aufmüpfiger, ironischer und liebessehnsüchtiger Finesse werden. Schon die vierstimmige Streicherfuge der Ouvertüre brennt sich da in Ohren und Seelen und hat so gar nichts mehr von einem Wunschkonzert-Hit.

Vollends in neue Dimensionen dringt Harnoncourts Werkdeutung in jener berühmten Szene vor, in der Marie dem scheinbaren Dorftrottel Vaˇsek die Heirat mit der von seinen Eltern und dem Heiratsvermittler ausgesuchten Braut ausredet. Wo in der Repertoireregel bisher dem stotternden Muttersöhnchen szenisch gar arg mitgespielt wurde, wird nun, ganz aus den Noten entwickelt, die Ironie durch Maries menschliches Mitgefühl abgelöst.

Dirigenten-Sohn Philipp Harnoncourt schafft in der Konzerthalle eine "halbszenische“ Inszenierung, vor der alle sattsam bekannten "Regisseure des Jahres“ der seit einigen Dekaden vorherrschenden Regie-Inkompetenz schamrot in den Erdboden versinken müssten. Teile einer Rummelplatz-Dekoration für einen zünftigen Kirtag genügen.

Gesungen wird in Graz auf höchstem erträumbaren Niveau. Dorothea Röschmann, unüberbietbare vox humana im Mozart-Fach, rührt als Marie mit tränenumflortem bis jubelndem Timbre. Kurt Streit, der führende Tamino, Belmonte, Titus und Idomeneo der Jetztzeit, mischt als Janík Verhaltenheit mit gefinkelter Bauernschläue. Dass der Amerikaner mit österreichischem Pass zur Premiere mit einem Klavierauszug auftrat, sei der Wahrheit gemäß vermerkt. Markus Schäfer, noch ein erster Mozart-Tenor, ist als Vaˇsek eine vokal elegant-lyrische, darstellerisch saftige Überbesetzung. Ruben Drole mit bassbaritonaler Reichweite in Höhe und Tiefe der exponierten Partie gibt den Heiratsvermittler Kecal kernig, geldgeil, fast ein wenig zuhälterisch. Noch zwei luxuriöse Mozart-Stimmen bieten Elisabeth Kulman und Anton Scharinger als Maries Eltern Ludmila und Kruˇsina auf. Perfekte Präsenz: Heinz Zednik als Direktor.

Ausnahmekünstler am Werk

All diese Prachtleistungen modelliert Nikolaus Harnoncourt mit Akribie, Brio, Verve, Delikatesse und explosiven Temperamentsausbrüchen, ohne jemals zu schnell zu werden oder zu getragen. Mit ihm ganz d’accord sind die famosen tanzenden und mimenden Sänger des Arnold Schoenberg Chors. Alle Schichten der kostbaren Partitur legt er mit den wunderbaren Instrumentalisten des seit dreißig Jahren von ihm begleiteten Chamber Orchester of Europe frei. Von der italienischen Konzertmeisterin Lorenza Borrani bis zur Schlagwerkerin Karin Meissl erschließen diese Ausnahmekünstler Smetanas Klangwelt ganz neu.

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