Noch im Frühjahr 1989 hätten wir uns nicht vorstellen können, dass bloß 15 Jahre später ein Teil des "Ostblocks" zur EU gehören könnte. Ich war damals gerade in der Sowjetrepublik Armenien in Sachen Hilfe der Caritas nach dem Erdbeben unterwegs. Und außer dass kirchliche Hilfsorganisationen damals erstmals in der Sowjetunion offiziell tätig werden und damit etwas von den Lockerungen unter Gorbatschow spüren durften, sah es ganz und gar nicht nach einem baldigen Ende des "Ostblocks" aus.
Dabei war es bereits im Herbst desselben Jahres so weit. Aber was immer wir uns unter einer Wiedervereinigung Europas irgendwann in ferner Zukunft vorgestellt hatten: dass sie sich in einer so unterkühlten und hauptsächlich von Besorgnis geprägten Atmosphäre ereignen würde und die Politiker Angst haben würden, sich zu positiv zu dieser Erweiterung des EU-Gebietes zu äußern, und sich von der Pose von Beschützern vor zu viel Offenheit gegenüber den neuen Mitgliedsländern mehr Stimmen erhoffen würden, das wäre mir damals nicht in den Sinn gekommen.
Aber meine Generation hat wohl zu viel von den pathetischen Reden der Lehrer und Politiker unserer Jugendzeit über die "Werte" des "Westens" gegenüber den kommunistischen Diktaturen inhaliert. Und zu wenig durchschaut, dass hinter der "Werte"-Fassade längst schon ganz andere Dinge am wichtigsten waren. So wichtig, dass mittlerweile alles nur mehr durch die wirtschaftliche Brille gesehen werden kann - auch die EU-Erweiterung. Aber zu ein paar pathetischen Reden und berührenden ORF-Sendungen wird's schon reichen. Und der Bundespräsidentschaftswahlkampf ist auch noch rechtzeitig zu Ende gegangen. Übrigens: hat dabei jemand Substanzielleres und Beherzteres zum Thema gehört? Stimmt. Wäre wahrscheinlich nicht so gut gekommen.
Der Autor ist Pfarrer in Probstdorf und Universitätsseelsorger.
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