"Mandela war für uns der letzte Dinosaurier"

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Unsere Augen klebten damals förmlich am Bildschirm des kleinen Schwarz-Weiß-Fernsehers. Zusammen mit Tausenden anderen rund um den Erdball wurde wir so Zeugen eines einmaligen Geschehens: Die Befreiung des am längsten gefangen gehaltenen Freiheitskämpfers, den das Jahrhundert kannte. Nach 27 Jahren in den Kerkern Südafrikas wurde Nelson Mandela auf freien Fuß gesetzt.

An diesem 11. Februar gärte und kochte es auf dem afrikanischen Kontinent. Über ganz Afrika verstreut, waren Männer und Frauen jeden Alters und jeder Bevölkerungsschicht Teil dieser Revolution. Von Dakar im Senegal bis Dar es Salam in Tansania, vom südafrikanischen Kap bis nach Algier, von Nairobi in Kenia bis nach Douala in Kamerun - überall, in allen Teilen des Kontinents gingen die Menschen auf die Straße. Sie trotzten den Machtapparaten des militärischen Terrors, der Polizei und der korrupten Verwaltung. Für all diese mutigen Menschen war dieser 11. Februar der schönste Tag des noch jungen Jahres. Endlich war Mandela wieder unter ihnen. Jetzt war die afrikanische Familie vollständig und bereit, sich neuen Herausforderungen zu stellen. Mandelas Frisur am Tag seiner Freilassung ist in Erinnerung geblieben. Der fein rasierte Strich nicht ganz in der Mitte des Kopfes war gerade groß in Mode in Kamerun. Nelson Mandela: der Sportler, der Boxer, der entschiedenste Kämpfer gegen die Apartheid. Für uns junge Afrikaner war Mandela wie der letzte überlebende Dinosaurier aus den Reihen jener Kämpfer, die sich mit Leib und Seele dem Kampf für die wirkliche Unabhängigkeit ihres Kontinents verschrieben haben.

Träumen erlaubt Er war der greifbare Kristallisationspunkt jener Ideen, die aus den heißen 50er Jahren bis zu besagtem Tag lebendig geblieben waren, die die Führer so vieler afrikanischer Länder bewegten unter Einsatz ihres Lebens für die Befreiung des Kontinents zu kämpfen. Aber viele der hellsichtigsten afrikanischen Führer wie Amilcar Cabral aus Guinea-Bissau, Patrick Lumumba aus dem Kongo oder Um Nyobe aus Kamerun waren von den mächtigen Kolonialmächten ermordet worden. Durch die Person Mandela war es noch immer und wieder erlaubt zu träumen.

Das Radio genügt nicht An diesem 11. Februar war der kleine Fernseher plötzlich der Nabel unserer Welt geworden, die einzige Quelle wirklicher Information. Denn das Radio genügte nicht mehr: Wir wollten Mandela, dieses lebende Symbol des afrikanischen Freiheitskampfes sehen. Begleitet von seiner Frau Winnie, Hand in Hand, die Faust zum Zeichen des Sieges erhoben, sahen wir ihn und wollten aus ganzem Herzen in der glücklichen Menge sein, die ihm auf seinem Weg in die Freiheit zujubelte. Wieviel Zeit war vergangen! Das Gesicht bedeckt mit Falten, die Haare weiß vom Alter - in Afrika ein Zeichen für Weisheit. Mandela wirkte müde, doch der entschiedene Ton seiner klaren und bestimmten Worte war derselbe wie eh und je. Im Rathaus von Kapstadt sprach er: "Wenn ich heute hier sein kann, so verdanke ich das euch. Ich bin hier, weil ihr es so gewollt habt. Ihr habt dafür gekämpft, daß ich jetzt unter euch sein kann. Ich bin also nicht vor euch wie ein Prophet, sondern als ein euch ergebener Diener." 1994 wurde Mandela zum Präsidenten Südafrikas gewählt. Fünf Jahre später übergab er die Regierungsgeschäfte. Mit 82 Jahren ist Mandela noch immer politisch sehr aktiv. Heute ist der "ergebene Diener" Vermittler im sehr schwierigen Friedensprozeß zwischen verfeindeten Brüdern in Burundi.

Der Autor kommt aus Kamerun, ist Student der Publizistik und Politikwissenschaft an der Uni Wien und Leiter der Redaktion von Radio Tribüne Afrikas.

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