Saisonauftakt mit Zeitgeschichte

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Spannungsgeladen treibt Regisseur Janusz Kica die Handlung der Familiengeschichte "Der Engel mit der Posaune" voran und sorgt für eine gelungene Eröffnungsproduktion am Theater in der Josefstadt.

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Spannungsgeladen treibt Regisseur Janusz Kica die Handlung der Familiengeschichte "Der Engel mit der Posaune" voran und sorgt für eine gelungene Eröffnungsproduktion am Theater in der Josefstadt.

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Die neue Spielzeit am Theater in der Josefstadt wird mit der Uraufführung eines Romans seines ehemaligen Direktors eröffnet: Ernst Lothar, der die Bühne 1935 bis zu seiner Emigration 1938 leitete, verfasste im amerikanischen Exil das Familienepos "Der Engel mit der Posaune". Der Roman beginnt mit dem Selbstmord von Kronprinz Rudolf im Jahr 1889 und endet mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten im März 1938.

Der Engel: Symbol für die Wahrheit

Untergang der Habsburgermonarchie, Erster Weltkrieg, Zwischenkriegszeit, Bürgerkrieg und "Ständestaat" werden hier vor der Folie des Aufstiegs und Falls der Klavierfabrikanten-Dynastie Alt erzählt. Am Haus der Familie in der Seilerstätte 10 hängt ein Engel mit einer Posaune. Er ist Symbol für die Wahrheit, aber auch für das Selbstverständnis Österreichs, dem Land der Musik.

Franz Alt, Inhaber der Klavierfabrik "Die Melodie Wiens", heiratet die eigentlich in den Kronprinzen verliebte Henriette Stein. Sie entscheidet sich für die Vernunftehe, die ihr eine solide Existenz als Fabrikantengattin sichert und ihr dringend nötige pekuniäre Mittel ermöglichen soll. Ein halbes Jahrhundert wird ihre - unter keinem guten Stern stehende -Ehe dauern.

Soweit das Gerüst des Romans, der - wiederentdeckt -2016 bei Zsolnay erschien. Bereits 1948 war das Buch mit Paula Wessely, Attila Hörbiger und Oskar Werner verfilmt worden. Regisseur Karl Hartl legte damals den Fokus auf die Romantisierung der Monarchie sowie auf den Wiederaufbau, zugleich konnte sich Wessely selbst entnazifizieren: 1941 hatte sie im NS-Propaganda-Film "Heimkehr" mitgewirkt, in "Der Engel mit der Posaune" spielt sie die in der NS-Diktion als Halbjüdin geltende Henriette, die am Ende Selbstmord begeht. Rolle und Privatperson verschmelzen geradezu in der Wahrnehmung. Paula Wessely - mit der sich Lothar aus der Zeit vor dem Krieg verbunden fühlte - war rehabilitiert.

Autorin Susanne F. Wolf legt in ihrer Dramatisierung den Schwerpunkt auf Lothars Bekenntnis zu Humanität und auf seine Forderung nach Toleranz. Regisseur Janusz Kica bedient diesen Zugang, indem er sich auf die dramatischen Momente und Begegnungen konzentriert und die Figuren klar konturiert. Maria Köstlinger ist als Henriette zu sehen, subtil zeigt sie die Entwicklung der lebensfrohen jungen Frau, die an den Konventionen scheitert. Auch ihr Geliebter, Kronprinz Rudolf (Xaver Hutter), zerbricht am Reglement. An Henriettes Hochzeitstag erschießt sich Rudolf zusammen mit Mary Vetsera. Henriette wird in die Aufklärung seines mysteriösen Todes verwickelt.

Verstiegene Geschichte

Spannungsgeladen, mit schnellen Übergängen treibt Kica die Handlung voran. Aus der aufbegehrenden Henriette wird eine sanfte, betagte Dame, die sich nicht nur in die Konvention eingefunden hat, nein, diese verteidigt und einfordert. "Du bist schon wie Tante Sophie" wirft ihr der vielgeliebte Sohn und spätere Sozialdemokrat Hans (Alexander Absenger) vor. "Vielleicht färbt dieses Haus mit der Zeit auf seine Bewohner ab", repliziert sie. Dazu hat auch ihr geradezu langweilig vorbildlicher Mann Franz (Michael Dangl) beigetragen. Er ist leidenschaftlich in Henriette verliebt, verbittert trotz Enttäuschungen nie ganz, schon gar nicht am Ende, als er nach einem Schlaganfall längst verstummt ist.

Zusammen mit der gestrengen Tante Sophie (Marianne Nentwich), dem verkorksten Schwager Otto Eberhard (André Pohl), den Söhnen (Alexander Absenger und Matthias Franz Stein) und der Tochter (Silvia Meisterle) leben sie wie Gefangene im Familienwohnsitz, dem Hauptschauplatz der dreistündigen Inszenierung.

Düster gestaltet Bühnenbildnerin Karin Fritz das mehrstöckige Haus, buchstäblich verstiegen ist seine Geschichte, den großbürgerlichen Salon beherrschen schwarze Ledersofas und Klaviere. Mit den wechselnden Regierungen werden die Instrumente verschoben, um dann wieder zurecht gerückt zu werden. Manchmal werden sie auch bespielt, denn was wäre Österreich ohne Beethoven oder Mozart?

Ernst Lothar war überzeugter Patriot, der als Theaterdirektor die Josefstadt zu einem Spielort österreichischer Affirmationsdramatik etabliert hatte. Die Frage nach dem spezifisch Österreichischen ist auch in Kicas Inszenierung dominant. Hans' Schlussplädoyer für Freiheit, Menschlichkeit und Toleranz versteht sich -auch angesichts der bevorstehenden Wahl -keineswegs nur als Zeitdokument. Der Wink in die Gegenwart, aufgeladen mit geschichtsträchtiger Selbstbeweihräucherung, ist aber dann doch etwas zuviel. Dennoch: gelungen ist diese Eröffnungsproduktion allemal.

Der Engel mit der Posaune Theater in der Josefstadt 8., 16., 17., 27., 28. September

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