Wie Europas Muslime leben und denken

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Neuerscheinungen zum Thema Islam: Besonders die Auseinandersetzung und Darstellung muslimischer Lebenswelten hilft zur Versachlichung der Debatten.

Am 19. August endet der diesjährige Fastenmonat Ramadan: In diesem Monat enthalten sich gläubige Muslime zwischen Sonnenauf- und -untergang des Essens, Trinkens, Rauchens und sexueller Aktivitäten. Wird die Mondsichel nach dem Neumond gesichtet, kann das dreitägige Fest des Fastenbrechens beginnen, im deutschen Sprachraum wird es oft - wegen der vielen Süßspeisen, die da auf den Tisch kommen - auch "Zuckerfest“ genannt.

Vier Typen muslimischer Familien

Wie der Ramadan in Europa begangen wird, hat auch mit der religiösen Verwurzelung der hier lebenden Muslime zu tun. Ahmet Toprak, Erziehungswissenschafter in Dortmund, forscht über muslimische Lebenswelten in Deutschland. Im Buch "Unsere Ehre ist uns heilig. Muslimische Familien in Deutschland“ legt er eine kompakte Analyse vor, die auf ausführlichen Interviews mit muslimischen Familien beruht. Da entsprechende Untersuchungen im österreichischen Kontext rar sind, sollte man das Buch auch hierzulande aufmerksam lesen.

Toprak kategorisiert vier Typen von Familien: In den konservativ-autoritären Familien stehen althergebrachte Normen und Geschlechterrollen im Vordergrund. Auf sie bezieht sich auch der Buchtitel: Hier ist die Ehre nach wie vor eine oberste Richtschnur für Verhalten und Lebensweise. In den religiösen Familien spielt der Glaube die tragende Rolle, hier stellt der Autor muslimische Glaubenspraxis dar.

Toprak wertet nicht, sondern versucht, Verhaltensmuster und Zugänge einsichtig zu machen. Er legt Wert auf wichtige Unterscheidungen: So arbeitet er die Tradition der arrangierten Ehe, die in vielen muslimischen Familien gang und gäbe ist, heraus und unterstreicht, dass diese keineswegs gleichbedeutend mit "Zwangsheirat“ ist, wie es in schnellen Bewertungen oft gleichgesetzt wird. Auch über die Sexualität - vom vorehelichen Sex bis zum schwierigen Thema Homosexualität - hat er seine Interviewpartner befragt.

Die anderen Typen, die Toprak verortete, sind leistungsorientierte Familien, in denen großer Wert auf Bildung und Berufsausbildung gelegt wird, sowie die modernen Familien, in denen entgegen traditioneller Rollenaufteilung auch die Väter etwa ihren Beitrag zur Kindererziehung leisten.

Das Lebensgefühl junger Muslime

Eine interessante Auseinandersetzung bietet auch Eren Güvercin im Buch "Neo-Moslems“, wo er das "Porträt einer deutschen Generation“ versucht. Der deutsch-türkische Publizist und Blogger, Jahrgang 1980, übersetzt das Lebensgefühl junger Muslime, das er durch öffentliche Debatten à la Sarrazin & Co desavouiert sieht. Er wendet sich dabei gegen die Kategorisierung in "konservative“ und "liberale“ Muslime und will eine Abkehr vom traditionellen, ethnisch geprägten Verbandsislam, wie er in Deutschland herrscht. Und er wertet staatliche Anläufe zur "Integration“ als Versuch, die Religion an sich abzuwerten.

Güvercins Religionsverständnis ist dabei durchaus rigoros, er sieht in der Religion die Aufgabe, überzeitliche Wahrheit zu verkünden und hochzuhalten. Von daher meint er, dass es Christen wie Muslimen gleichermaßen ein Anliegen sein müsste, gegen die religionsfeindliche Gesellschaft aufzutreten. Seine Wirtschaftskritik kann man da nachvollziehen, wenn er aber auch Demokratie und Menschenrechte als Ideologie abtut, ist ordentlich Vorsicht angeraten. Auch mit den "Liberalen“ - ob Christen oder Muslime - kann Güvercin wenig anfangen, weil diese sich mit der kritisierten Gesellschaft allzu leicht gemein machten. Die Analyse des "jungen“ muslimischen Lebensgefühls bleibt dennoch aufschlussreich.

Kurz und kompakt ist schließlich das Büchlein des Bamberger Kunsthistorikers Lorenz Korn, der in "Die Moschee“ Architektur und religiöses Leben des Gebetsraums der Muslime darstellt. Angesichts zahlreicher, auch durch Unwissen geprägten Debatten über Moscheen eine Wissensquelle - und lohnende Lektüre.

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