"Die ständige Überwachung macht mir Probleme"

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Michael Sika, vormaliger Generaldirektor für öffentliche Sicherheit, zum Schutz der Privatsphäre in Zeiten intensiver Terrorbekämpfung.

Die Furche: Die Einführung von biometrischen Daten in Reisepässen hat in Österreich die Diskussion über Gefahr und Nutzen des Überwachungsstaates neu angeheizt. Was kommt an neuen Überwachungsinstrumenten und -methoden auf uns zu?

Michael Sika: Die EU und die USA werden Standards vorschreiben. Das Thema Biometrie etwa kommt aus den USA und wird von der EU sofort übernommen werden. Allerdings sehe ich noch ungelöste Probleme. Fingerabdrücke lassen sich nur äußerst schwer verändern. Anders ist es mit den Maßen des Kopfes: die Kiefer-, die Backenknochen, die Nase lassen sich operativ verändern. Meines Erachtens ist die Biometrie noch nicht weit genug. Ich weiß, dass man für den Flughafen München diesbezüglich Studien angestellt hat. Das Ergebnis war nicht zufriedenstellend. Vielleicht ist man in den USA schon weiter. Ich bin aber skeptisch, dass biometrische Daten die erhoffte Sicherheit bieten.

Die Furche: Wie hoch schätzen Sie die Terror-Gefahr derzeit ein?

Sika: Ich glaube, dass die Terror-Situation nach dem Irak-Krieg gefährlicher geworden ist. Die jüngsten Anschlägen zeigen, dass El Kaida und andere terroristischen Organisationen nach wie vor funktionsfähig sind. Wegen der Anstrengungen der Amerikaner, ihr Staatsgebiet zu sichern - und das ist der Unterschied zu vorher -, verfolgen die Terrororganisationen aber jetzt eine andere Strategie. Man schlägt nicht mehr in den USA los, sondern sucht so genannte weiche Ziele und geht den Weg des geringsten Widerstandes. Deswegen gibt es jetzt Attentate in Afrika, Asien ...

Die Furche: Was bedeutet das für Europa?

Sika: Auch Europa kommt ins Blickfeld der Terroristen. Sie werden überall dort zuschlagen, wo sie sicher sein können, dass sie Erfolg haben. Dabei geht es ihnen nicht darum, ungeschoren davonzukommen. Sie wollen nur das Attentat durchführen können, ohne bereits im Planungsstadium aufzufliegen.

Die Furche: Inwieweit ist Österreich davon betroffen?

Sika: Österreich ist am wenigsten in Gefahr. Von vielen Dienstreisen in den arabischen Raum weiß ich, dass Österreich dort einen guten Namen hat. Außerdem gibt es bei uns eine große islamische Gemeinde, die im Wesentlichen friedlich lebt. Schließlich war Österreich immer schon ein Ruheland, in dem sehr viele Geschäfte abgewickelt wurden und werden. Ich glaube nicht, dass man diesen Regenerationsraum beschädigen will, aber gänzlich und für alle Zeiten ausschließen lässt sich das freilich nicht.

Die Furche: Gönnen wir den Terroristen zu viel Ruhe?

Sika: Sie können nicht jeden Araber, der nach Österreich kommt, als potenziellen Terroristen ansehen. Da würde die Wirtschaft sofort protestieren und sagen: Ihr vergrault uns unsere Kunden. Beim ersten Anschlag auf das World Trade Center hat es Verbindungen nach Wien gegeben. Das hat man aber erst im Nachhinein entdeckt. Diese schlafende Gruppe war völlig unverdächtig. Und wo unbescholtene Leute als Terroristen eingesetzt werden, kann auch die Biometrie nicht helfen.

Die Furche: Kann man sich überhaupt gegen Terrorismus schützen?

Sika: Nicht wirklich. Aber man kann den Terroristen das Leben schwerer machen. Das tun mittlerweile die USA. Und der Erfolg ist sichtbar. In den Staaten hat es seit dem 11. September keinen Anschlag mehr gegeben - ausgenommen die Anthrax-Geschichten, die wahrscheinlich hausgemacht waren.

Die Furche: Wurden geplante Anschläge im Vorfeld aufgedeckt?

Sika: Die Amerikaner haben nach dem 11. September etwas gemacht, was sie schon vorher hätten tun sollen: Sie haben ihre verschiedenen Nachrichten-Dienste zusammengefasst, reorganisiert und einer einheitlichen Führung unterstellt. In den USA wurde sehr viel getan, um schlagkräftiger zu werden. So sind sicher Attentate schon im Vorhinein verhindert worden. Sie machen es den Leuten aber auch immer schwieriger, ins Land zu kommen.

Die Furche: Werden unter dem Stichwort Terror-Bekämpfung nicht generell die Standards - was Überwachung und Privatsphäre betrifft - verschoben?

Sika: In den neunziger Jahren wurde in London die Video-Überwachung eingerichtet, um den IRA-Terror abzuwenden. Was man zunächst als Maßnahme gegen den Terror erfunden hat, wurde dann im Kampf gegen die Kriminalität eingesetzt. Genauso ist es mit der Biometrie: Auch wenn man heute argumentiert, sie sei eine notwendige Maßnahme gegen den Terror, so weiß ich, dass viele im Innenministerium davon träumen, dieses Instrument gegen die aus dem Osten kommenden Kriminalität zur Verfügung zu haben.

Die Furche: Terrorbekämpfung also als Schuhlöffel für den Kampf gegen die Kriminalität?

Sika: Beispiel USA: Man wird dort wenige finden, die heute etwas gegen jegliche Form der Terrorbekämpfung sagen. Und über kurz oder lang setzt man dieses und jenes Instrument natürlich auch zum Kampf gegen die Kriminalität ein.

Die Furche: Da birgt aber auch die Gefahr des Missbrauchs ...

Sika: Auch mir geht vieles zu weit. Beispielsweise, dass ich, wo ich gehe und stehe, von Videokameras aufgenommen werde. Man hat ja dauernd das Gefühl, beobachtet zu werden.

Die Furche: Es heißt doch: Allen, die nichts zu verbergen haben, könne das egal sein ...

Sika: Mag sein, aber mir persönlich macht das Probleme.

Die Furche: Welche Form von Missbrauch ist konkret vorstellbar?

Sika: Der Missbrauch findet jetzt schon statt. Ohne Wissen der Behörde wird viel videografiert. In Scheidungsverfahren werden private Lausch-Angriffe gemacht. Diese Fragen sind rechtlich nicht ausreichend geklärt. Von den Behörden muss man am wenigsten Angst haben. Da gibt es den Rechtsschutz-Beauftragten, er verfolgt penibel jeden Lausch-Angriff. Das geht alles nur mit gerichtlicher Verfügung. Da sehe ich keine Gefahr.

Die Furche: Inwieweit nutzt der Polizei-Apparat dieses Informationsmaterial? Werden dank solcher Aufnahmen Verbrechen geklärt?

Sika: In Banken ist diese Überwachung offensichtlich effizient. Ein gewisser Prozentsatz von Tätern wird über die Kameras ausgeforscht. Oftmals meldet sich jemand, der eine Person aufgrund von Fotos erkennt. Aber solche Video-Überwachung bringt nur etwas, wenn die beobachtete Person bei relativ gutem Licht nahe bei der Kamera steht. Allerdings wird sich die Technik in diesem Bereich noch verbessern. Ich denke nur daran, welche Auflösung die Aufnahmen von US-Satelliten haben.

Die Furche: Stimmt es, dass es möglich ist, vom Weltraum aus in jedes Geldtaschl zu blicken?

Sika:Ich habe im Zuge der Affäre um die US-Waffenlager in Österreich solche Bilder gesehen, und ich bin erschrocken: Da sieht man alles bis zum Kennzeichen eines Autos. Und es ist wohl nur eine Frage der Zeit, und es ist möglich, diese Technik auch in der Videografie einzusetzen.

Die Furche: Um Sicherheit zu erzeugen, finanzieren die Staaten mit großem Aufwand die Entwicklung von Technologien, die breit gestreut missbraucht werden können.

Sika: Sicher, das ist ein Problem. Aber ich habe vor allem Probleme mit der derzeitigen Handhabung der Sicherheits-Systeme. Die Kontrollen auf den Flughäfen sind hysterisch überzogen - nicht unbedingt in Österreich. Was ich da schon an Nonsens erlebt habe! Rechtskonforme Bürger - die ja die große Masse darstellen - werden abgetastet, stehen mit erhobenen Händen herum. Niemand kann das verstehen, umso mehr als die Kontrollen sehr unterschiedliche Qualität haben. In Wien komme ich durch, anderswo wieder nicht, obwohl ich mich nicht umgezogen habe, einfach weil die Sensoren anders eingestellt sind. Wegen all dem fliege ich nicht mehr gern. Beim Fliegen wird die Privatsphäre mehr beschädigt, als irgendwo sonst.

Die Furche: Wie stark wirkt sich der Druck der Öffentlichkeit auf die Entscheidungsträger aus, dass im Falle eines Attentats im Voraus zu wenig geschehen sei?

Sika: Den Druck gibt es vielfach zu Recht. Es ist ein offenes Geheimnis, dass vor dem 11. September in den USA viele Hinweise gegeben hat, die man hätte verwerten müssen. Vielleicht hätte man die Katastrophe verhindern können. Aber ich bin der Meinung, dass das, was wir jetzt haben, völlig ausreicht. In Österreich haben wir eigentlich alles, was wir brauchen. In anderen Ländern war das ja nicht unbedingt so. Wie gesagt, in Österreich brauchen wir nichts, auch wenn uns die Biometrie wahrscheinlich aufgezwungen werden wird. Wobei ich schon auch weiß, dass es in unserem Innenministerium Leute gibt, die sich dieses Instrument wünschen.

Die Furche: Drängt die heimische Exekutive also auf noch mehr Aktivitäten in Richtung Überwachung?

Sika: Nein, das lässt sich so generell nicht sagen - auch wenn sich Einzelne einiges von den biometrischen Daten erhofft. Bei den Asylwerbern hat man ja jetzt schon die Fingerprints. Meiner Meinung nach ist das ausreichend. Ich sehe für Österreich also keine Notwendigkeit, weitere Maßnahmen auf diesem Gebiet zu setzen.

Das Gespräch führten Christof Gaspari und Wolfgang Machreich.

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