Charakter des leicht Lächerlichen"

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Der Politologe Anton Pelinka über den Deutschen Herbst 1977 und dessen österreichischen Abklatsch sowie über Parallelen zur Terror-Gefahr anno 2007.

Die Furche: Wie haben Sie den "Deutschen Herbst" in Erinnerung?

Anton Pelinka: Ich bin im Herbst 1977 einige Male nach Deutschland gefahren und habe die Erfahrung gemacht, dass ich relativ intensiv kontrolliert wurde. Ich habe mir das so erklärt, dass ich damals vom Alter her ins Profil möglicher Terroristen gepasst habe.

Die Furche: Sie waren damals …

Pelinka: … 36 Jahre alt. Ich habe Freunde gefragt, wie man das erklären kann, denn ich war eher konventionell gekleidet. Ja gerade deswegen, haben die gemeint, denn wenn sich ein 36-jähriger RAF-Terrorist der Kontrolle entziehen will, wird er sich konventionell kleiden. Das ist die erste Erfahrung. Die zweite stammt aus der Zeit, als Hanns Martin Schleyer schon entführt, aber noch am Leben war. Ich war in Bonn auf einer Tagung und da standen im Kanzleramtsviertel auf der Straße Schützenpanzer, was doch eher ungewöhnlich war. Es gab eine gewisse Erregung in der deutschen Öffentlichkeit, die nicht nur rückblickend, sondern auch damals zu verstehen war. Ich habe damals wie heute die Entscheidung des deutschen Kanzlers Helmut Schmidt, mit den RAF-Terroristen nicht zu verhandeln, für richtig gehalten - vom Standpunkt der Demokratie wie des Rechtsstaates aus.

Die Furche: Und wie war die diesbezügliche Lage in Österreich?

Pelinka: Österreich war da natürlich - trotz Palmers-Entführung - irgendwie die Provinzkarikatur. Sicherlich ist das rückblickend auch deswegen so, weil alles gut ausgegangen ist und es bei der Palmers-Entführung keine Toten gegeben hat. Es hatte den Charakter des leicht Lächerlichen …

Die Furche: … oder des Operettenhaften?

Pelinka: Das ist der richtige Ausdruck. Da war die tragische Seite der deutschen Situation, der bleierne Herbst mit den Toten, und es hat einen operettenhaften Kopierversuch gegeben. Das waren Nachahmungstäter, die es aber nicht geschafft haben, ernsthaft als solche wahrgenommen zu werden.

Die Furche: Es ist aber Österreich sehr wohl im Visier des Terrorismus gewesen, wie schon die Entführung der OPEC-Minister in Wien, Dezember 1975 gezeigt hat. Hat man das miteinander in Zusammenhang gebracht?

Pelinka: Ich habe es nicht, obwohl das eine Fehleinschätzung war. Heute wissen wir natürlich, dass es da über die Person Carlos zwischen RAF und dem arabisch-palästinensischen Terrorismus eine Verbindung gegeben hat. Mir war damals nicht bewusst, dass es da ein internationales Netzwerk gab, in das auch die deutsche RAF hineingepasst hat - etwa mit Ausbildungslagern im Libanon und auch bei der OPEC-Entführung waren deutsche RAF-Leute dabei. Dass die OPEC-Geschichte in Österreich stattgefunden hat, war aber nach der Wahrnehmung vieler der Zufall der Lokation, auch wenn es einen toten österreichischen Polizisten gegeben hat. Das war vielleicht vereinfachend, aber wenn das Ganze in der Schweiz in Genf stattgefunden hätte, wäre es dort genauso gewesen.

Die Furche: Kann man die Stimmung, die sie da wiedergeben, im Vergleich zum Deutschen Herbst als "österreichisches Herbsterl" bezeichnen?

Pelinka: Genau. Der österreichische Herbst war weniger bleiern. Es hat niemand den Eindruck gehabt, dass da eine Terrorgruppe versucht, das staatliche Gewaltmonopol aus den Angeln zu heben und durch Erpressung zu erreichen, dass der Staat seine rechtsstaatlichen Ansprüche aufgibt.

Die Furche: In Kürze läuft der Film "Keine Insel" über die Palmers-Entführung an, der plastisch das Operet-tenhafte des Ganzen darstellt. Andererseits zeigt dieser Film auch, dass dann drei junge Leute, die jedenfalls nicht die Hauptakteure waren, doch zu langjährigen Gefängnisstrafen verurteilt wurden. Aus heutiger Sicht fragt man sich da, ob die Strafe in Relation zu dem steht, was sie tatsächlich getan haben. War da mit dem österreichischen Rechtsstaat alles in Ordnung?

Pelinka: Ich bin mir nicht sicher, ob ich da eine eindeutige Antwort geben kann. Aber natürlich ging es auch um die Frage der Nachfolgetäterschaft. Wenn man aufgrund des Operettenhaften gesagt hat, die Justiz hätte milder sein können, war die Folgewirkung schwer abzuschätzen. Fühlen sich dann auch andere motiviert? Also die Frage der Generalprävention - ob ein Urteil abschreckend ist oder nicht - ist sehr schwer zu beantworten, schon gar nicht so locker aus dem Handgelenk 30 Jahre später.

Die Furche: 30 Jahre später gibt es wieder eine Situation terroristischer Bedrohung - in Deutschland wie in Österreich, gerade in diesen Tagen. Ist diese Situation vergleichbar?

Pelinka: Das ist vergleichbar - und es ist analog, was die Bedrohung betrifft, dass es nämlich so etwas wie ein vermutliches kleines Netzwerk von Leuten gibt, die darüber nachdenken und mit Planungen beginnen, Terrorakte zu setzen - und zwar mit gutem Gewissen. Das Typische für diesen Terrorismus, gleich ob dieser islamistisch oder RAF-mäßig ist, ist das gute Gewissen, weil man das für eine gerechte Sache macht.

Die Furche: Das Gerechtigkeitsgefühl ist also eine starke Parallele.

Pelinka: Der Unterschied liegt sicherlich darin, was Österreich heute tun soll. Wieviele österreichische Offiziere sind in Afghanistan - vier? Die Situation der islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich ist im Vergleich zu anderen europäischen Staaten keine schlechte, eher eine bessere. Die Beteiligung Österreichs am von Amerika geführten Krieg gegen den Terror ist nicht da oder minimal. Österreich ist als Objekt dieser terroristischen Aggression daher nicht wirklich überzeugend. Bei den Palmers- und den RAF-Entführungen war das ein sozialistisch-revolutionärer Anspruch, rückblickend auch von erstaunlicher Naivität, dass man, wenn man Generalbundesanwälte und Bankdirektoren auf der Straße erschießt, damit das Wirtschaftssystem zum Einsturz bringen kann. Da war eher sichtbar, was man von einem Staat wie Österreich oder Deutschland erwartet hat, auch wenn heute klar ist, dass dies eine völlige Fehlannahme war. Im Bezug auf islamistischen Terror in Österreich ist mir hingegen unklar, was die überhaupt erwarten. Österreich kann eigentlich gar nicht irgendwelche Erwartungen der heutigen Terroristen erfüllen.

Die Furche: In den Ereignissen rund um 1977 hat es ja besondere Reaktionsmuster des Staates, des Gewaltmonopols gegeben - Großer Lauschangriff, Rasterfahndung … Auf diese Instrumente des Deutschen Herbstes wird heute weiter gebaut. Ist der (Rechts-)Staat jetzt besser gerüstet, oder ist er im Begriff, sich überzurüsten?

Pelinka: Das ist natürlich immer eine wichtige Frage. Ich sehe derzeit noch nicht, dass der Staat übergerüstet wäre - nach meinem Wissensstand. Das ist eine berechtigte Sorge, die ich jetzt aber für unberechtigt ansehe - übrigens auch rückblickend für 1977 unberechtigt ansehe für die Bundesrepublik Deutschland. Die damalige Debatte über Folter, Haft ist ja maßlos überzogen gewesen.

Die Furche: Rasterfahndung oder Lauschangriff gehören seit damals zum gängigen Polizei-Instrumentarium.

Pelinka: Obwohl ich mich damals wie auch heute eher links von der Mitte finde, habe ich mich dadurch nie bedroht gefühlt - solange sichergestellt ist, dass das alles in ein ordentliches Gerichtsverfahren vor einer unabhängigen Justiz mündet. Und deswegen ist die Bedrohung des Rechtsstaates in Guantánamo, aber nicht bei den Fahndungsmethoden in Deutschland und in Österreich gegeben.

Das Gespräch führte Otto Friedrich.

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