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Für den Irak-Krieg oder dagegen? Österreich hat sich für die Mitte entschieden. "Unredlich" und "unanständig" nennt das "Format"-Leitartikler Christian Ortner, während der Politikwissenschaftler Anton Pelinka ganz froh ist, dass sich das offizielle Österreich zurückhält.

Die Furche: Herr Ortner, in Ihren Kommentaren kritisieren Sie Österreichs "Position der Mitte" im Irak-Krieg. Aber wo sollte ein neutrales Land anders stehen als in der Mitte?

Christian Ortner: Stellen Sie sich vor, alle Nationen würden sich verhalten wie Österreich und zuschauen - im Irak, in Bosnien, im Kosovo... Dann wäre MilosÇevic´ heute noch an der Macht und hätte mittlerweile noch ein paar Hunderttausend Menschen umgebracht: Das halte ich weder für wünschenswert, noch für redlich, noch für anständig. Deswegen glaube ich, dass die Position der Mitte, diktiert durch die Neutralität, eine ganz schlechte ist.

Anton Pelinka: Würde man in Österreich unter "Mitte" verstehen, dass man an einer gemeinsamen europäische Außen- und Sicherheitspolitik als Zielvorstellung festhält und diese unterstützt, hätte ich ein besseres Gefühl dabei. Aber in Österreich heißt "Neutralität": Andere führen ihre Kriege, wir haben damit nichts zu tun.

Ortner: Österreich profitiert davon, dass andere nicht so sind. Das nenne ich Trittbrettfahrerei - und in einer so wichtigen Angelegenheit ist das unanständig.

Pelinka: Während des Kalten Krieges hat diese österreichische Position sehr viel Sinn gehabt und zum Gleichgewicht in Europa beigetragen. Seit es dieses Gleichgewicht nicht mehr gibt, ist das Beharren auf der Neutralität eine Flucht aus der Wirklichkeit.

Die Furche: Wie hätte sich die Regierung konkret verhalten sollen?

Ortner: Ich hätte es - einmal abgesehen vom Neutralitätsgesetz - vorgezogen, wenn Österreich in diesem Konflikt die Position unserer östlichen Nachbarn: Tschechien, Polen etc. - jener Staaten, die US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld das "neue Europa" nennt - eingenommen hätte.

Pelinka: Ich finde, die Haltung des Bundeskanzlers ist vernünftig. Wir sollten uns nicht als Zwerg in der Zwergenliga vordrängen.

Die Furche: Darf der Bundeskanzler eines neutralen Landes überhaupt eine andere Position als die vermittelnde, gemäßigte einnehmen?

Ortner: Seine Meinung dürfte, ja sollte er artikulieren...

Pelinka: Wenn die Regierung eine deutlichere Stellungnahme abgibt, könnte das auf Grund der Stimmung in Österreich nur sehr kritisch gegenüber der US-Politik sein. Es gibt gute Gründe, die amerikanische Politik zu kritisieren. Ich glaube nur, dass es nicht im Interesse Österreichs ist, sich vorzudrängen und zu sagen, wir wollen noch eine weitere Stimme im antiamerikanischen und antibritischen Konzert in Europa sein.

Ortner: Ich sehe es umgekehrt: Egal wie die Sache ausgeht, wird Österreich mit seiner bisherigen Haltung nicht auf der Seite jener sein, die Recht gehabt haben.

Pelinka: Aber auch nicht auf jener Seite, die Unrecht gehabt hat.

Ortner: Einmal abgesehen von moralischen Argumenten: der deutsch-französische Block wird sich irgendwann erinnern, wer auf seiner Seite war, und Amerika wird sich auch erinnern. An Österreich wird sich niemand erinnern.

Pelinka: Ist das wirklich so schlecht, wenn sich niemand an Österreich erinnert?

Ortner: Für mich ist das ein zu defensiver Ansatz. Das Wesen von Politik ist doch, dass man eine Meinung - auch wenn sie eine Minderheitenmeinung ist - in einer wichtigen Sache durchhält? Tony Blair führt einen Krieg, den die Engländer nicht wollen. Er führt ihn, weil er von dessen Notwendigkeit überzeugt ist. Ist das nicht das Wesen von - erfolgreicher! - Politik?

Pelinka: Ich sehe Politik als eine verantwortungsethische und nicht als gesinnungsethische Sache. Was Richtiges sagen, ohne das Richtige zu erreichen, ist nichts. Das Richtige zu erreichen, muss das ethische Ziel sein. Wir sollten dann etwas tun, wenn wir damit etwas erreichen können.

Ortner: Das heißt doch für die Praxis, dass sich die österreichische Regierung überlegen müsste, auf welcher Seite sie steht. Ist man nicht als Staat gut beraten, eine eindeutige Position zu beziehen und nicht die Hand vor die Augen zu halten und zu meinen: Jetzt sieht mich keiner.

Pelinka: Österreich ist unterhalb der Aufmerksamkeitsschwelle. Deswegen hätte ich aus österreichischem Interesse heraus ein Unbehagen, würde die Bundesregierung stärker Stellung beziehen und die Position von SPÖ, FPÖ und den Grünen einnehmen. Die ÖVP hat dafür gesorgt, dass die Bundesregierung gegenüber dem Irak-Krieg um erkennbare Nuancen zurückhaltender ist.

Die Furche: Ist Zurückhaltung angesichts eines Krieges die richtige Kategorie?

Pelinka: Für die Menschen im Irak, für den Frieden in der Welt würde auch eine andere Position Österreichs nichts erreichen. Bei weniger Zurückhaltung würde Österreich aber das Opfer einer mich sehr misstrauisch stimmenden Allianz werden: Eine Allianz von Papst Johannes Paul bis zu Jörg Haider ist etwas, wo ich instinktiv nicht dabei sein möchte. Es findet sich da eine Kombination aus sehr ehrenwerten Friedensmotiven und nicht so ehrenwerten antiamerikanischen, antizionistischen, antisemitischen Motiven. Und um zu verhindern, dass Österreich, vertreten durch die Bundesregierung, in diesen Strom hineinkommt, ist mir die vorsichtige, hedonistisch-abwartende Haltung der Bundesregierung sehr sympathisch.

Die Furche: Das Unbehagen am Vorgehen der USA nährt sich ja aus der Art, wie sich diese Politik geriert.

Ortner: Dieses Unbehagen kann ich über weite Strecken nachvollziehen. Ich habe auch den Eindruck, dass die Amerikaner der Welt, in diesem Fall Europa, extrem arrogant entgegentreten. Aber nur weil ein arroganter Mensch ein Argument vorträgt, wird dieses Argument nicht richtiger oder falscher. In Europa werden diese beiden Ebenen miteinander vermischt. Bill Clinton hat drei Kriege geführt, die eindeutig völkerrechtswidrig waren: Bosnien, Kosovo, Haiti...

Pelinka: Kosovo war genauso völkerrechtswidrig wie der gegenwärtige Irak-Krieg - über die beiden anderen lässt sich streiten...

Ortner: Worauf ich hinaus will: Clinton hat für Europa das sympathische, offene, multilaterale Amerika verkörpert, und deswegen war der allgemeine Widerstand gegen diese US-Interventionen ungleich schwächer als in der Causa Irak. Deswegen unterstelle ich den europäischen Kriegsgegnern, dass sie Sympathie und Antipathie mit einer Sachfrage vermischen.

Pelinka: Der Zustand, dass eine Macht allein, quasi als Richter und Weltpolizist in eigener Sache, entscheiden kann, schafft Unbehagen. Der Ausweg aus diesem Unbehagen kann aber nicht das Verstecken hinter einem schon im Kosovo-Konflikt sinnlos gewordenen Veto-Recht im Sicherheitsrat sein. Zur Erinnerung: Damals haben die meisten Europäer applaudiert, als Clinton sich nicht um das chinesische und russische Veto gekümmert hat. Die eigentliche Ursache für die amerikanische Dominanz ist das Fehlen eines Gegengewichtes. Und die einzige Macht, die derzeit eine Symmetrie herstellen könnte, wäre Europa.

Ortner: Der amerikanische Autor Robert Kagan hat das so formuliert: Wer einen großen Hammer hat, neigt dazu, nur mehr Nägel zu sehen. Wer hingegen keinen Hammer hat, tendiert dazu, überhaupt keine Nägel zu sehen. Das ist die Situation zwischen Europa und den Vereinigten Staaten. Ich teile Ihre Meinung, dass Europa, anstatt zu jammern, einen Gegenpol schaffen müsste. Das kostet aber sehr viel Geld und einen weiteren Verlust an nationaler Souveränität. Machen Sie darüber einmal in Europa Volksabstimmungen. Das geht doch in Europa politisch nie durch.

Pelinka: Wer nicht bereit ist, für die weltfriedensstiftende Symmetrie etwas zu tun, sollte nicht über die amerikanische Hegemonie jammern. Was das europäische Engagement betrifft, bin ich kurzfristig sehr skeptisch. Das kommt nicht, außer der fehlende Akteur Europa in der Weltpolitik tut den Europäern selber so weh, dass sie bereit sind, den Preis zu zahlen. Derzeit schmerzt es noch zuwenig. Offenkundig brauchen wir noch einige Erlebnisse wie den Irak-Krieg, wo es alle Akteure gegeben hat, nur nicht Europa.

Die Furche: Wäre es realistisch, dass ein erstarktes, geeinigtes Europa bei einem Ereignis wie dem laufenden Irak-Krieg den USA Paroli böte?

Ortner: Wenn Europa seine wirtschaftliche Macht auch militärisch projiziert, würden die USA Europa ganz anders ernst nehmen, als das jetzt der Fall ist...

Die Furche: ... und sich davon abhalten lassen, eine ganze Region nach eigenen Vorstellungen umzubauen?

Ortner: Kann es nicht sein, dass die USA aus den eigenen Fehlern gelernt haben? Kann es nicht sein, dass die USA die Regierungen im arabischen Raum jetzt nicht mehr nur als Tankstellenpächter betrachten, die mit den Tankstellenangestellten umgehen können, wie sie wollen - solange sie pünktlich das Öl liefern? Vielleicht haben die Amerikaner aus den Ereignissen des 11. September gelernt und unternehmen jetzt tatsächlich einen redlichen Versuch der Demokratisierung dieser Region.

Pelinka: Die Frage ist nur, ob die Umsetzung professionell ist. Da habe ich meine Zweifel. Wie will man das demokratische Potenzial dieser Region fördern, ohne sich in den israelisch-palästinensischen Konflikt einzumischen?

Ortner: Vielleicht wird die Regierung Sharon ein großer Verlierer dieses Kriegs sein. Denn wenn die Amerikaner nicht ganz durchgeknallt sind, müssen sie versuchen, die palästinensische Sache stärker zu befördern.

Pelinka: Die Nahostpolitik steht nicht erst mit Ausbruch dieses Krieges still. Deswegen ist zu hoffen - wie immer man zu den Kriegsmotiven und zur Kriegspolitik der Amerikaner steht -, dass der Krieg rasch vorbei ist. Alles andere wäre schlimm. Und dann müssen die Amerikaner genügend Druck auf die israelische Regierung ausüben, um dorthin zu kommen, wo Bill Clinton mit seinen letztlich gescheiterten Friedensbemühungen in Israel war. Denn nur dorthin kann es gehen.

Das Gespräch moderierten Wolfgang Machreich und Rudolf Mitlöhner.

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