Europa fehlt ein Churchill

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Wir müssen unsere Feinde klar benennen, fordert der ungarische Sicherheitsexperte István Gyarmati.

Die Furche: Herr Gyarmati, Sie haben bei Ihrem Vortrag in Alpbach mit der Stellungnahme aufhorchen lassen, dass Europa genügend Streitkräfte besitzt und europäische Politiker die Klage über zuwenig Militär nur als leichte Entschuldigung gebrauchen?

István Gyarmati: Ja, und ich bleib dabei, wenn Europa wollte, hätte es genügend Streitkräfte für jene Kriegsoperationen, die für uns und bei uns in Frage kommen. Einen intensiven Krieg wie den Irak-Krieg kann Europa nicht führen - aber so eine Auseinandersetzung ist ja auch nicht in unserem Sinne. Und zweitens fehlt es Europa an Lufttransportmöglichkeiten - aber diese kann man mieten oder sehr schnell einkaufen, das ist kein großes Problem. Prinzipiell fehlt es in Europa aber keineswegs an Soldaten und militärischem Gerät - woran es fehlt, das sind eine europäische militärische Doktrin und der politische Wille für militärisches Engagement.

Die Furche: Der Aufbau einer europäischen Streitmacht wäre damit nicht mit Aufrüstung verbunden?

Gyarmati: Europa braucht eine andere militärische Logistik als heute und andere Kommunikationsmöglichkeiten - nicht Aufrüstung, sondern diese Art von Umrüstung sind notwendig; aber das kostet natürlich auch viel weniger als neues Kampfgerät.

Die Furche: Bezogen auf das diesjährige Alpbacher Thema "Macht und Ohmacht" heißt das: Europa wäre auch eine militärische Macht, wenn es nicht selbst lieber ohnmächtig bleiben würde?

Gyarmati: Macht bedeutet nicht nur militärische Macht; aber auch wenn wir unsere nicht-militärische Macht mit militärischer Macht unterstützen wollten, wären wir dazu fähig. Das Problem ist, dass die meisten Nationen das nicht wollen. Wir wollen nicht unsere nicht-militärische Wirtschaftsmacht mit militärischer Macht unterstützen.

Die Furche: Im Gegensatz zu den Amerikanern, wo Militär und Wirtschaft an einem Strang ziehen ...

Gyarmati: Ich glaube nicht, dass es so einfach ist. Im Irak verteidigt die usa auch europäische Interessen. Das Öl aus dem Mittleren Osten kommt nach Europa, nicht in die Vereinigten Staaten. Die Amerikaner sind wirklich eine Weltmacht, deswegen haben sie andere Interessen als wir. Für die usa ist es zum Beispiel auch wichtig, dass die Interessen von Verbündeten verteidigt werden. Wenn Sie schauen, welcher Staat einigermaßen ähnlich wie die usa reagiert, dann finden Sie China - ganz einfach, weil China auch eine Weltmacht ist, und Weltmächte wissen was sie wollen, wir wissen das noch nicht.

Die Furche: Warum weiß das Europa (noch) nicht, warum agiert Europa (noch) nicht als Weltmacht?

Gyarmati: Das ist historisch bedingt und dazu kommt noch, dass wir mit unseren eigenen innenpolitischen Problemen viel mehr beschäftigt sind als mit außen- und sicherheitspolitischen Themen; zum Beispiel die Reform unserer Wirtschaft, unseres Wohlfahrtsstaates ist viel schwieriger als in den usa; die Amerikaner haben so einen Wohlfahrtsstaat nie gehabt und brauchen ihn deswegen auch nicht gleichermaßen reformieren.

Die Furche: Inwieweit spielt dabei auch eine Rolle, dass die Welt mit einer neuen Sicherheitssituation konfrontiert ist?

Gyarmati: Das ist sehr wichtig: Wir sind jetzt in einer vergleichbaren Umbruchssituation wie nach dem Dreißigjährigen Krieg, 1648 der Vertrag von Westfalen; ein ganz neues Sicherheits- und Staatensystem ist im Entstehen und deshalb ist es sehr normal, dass wir noch nicht wissen, wie man darauf reagiert. Europa braucht noch viel mehr Zeit, auch weil wir nicht ein Staat, sondern 25 Staaten sind. Damit will ich die Probleme nicht herunterspielen, doch es ist verständlich, dass wir diese Probleme haben.

Die Furche: Heißt das, bis Europa eine Weltmacht im umfassenden Sinne wird, ist es nur eine Frage der Zeit?

Gyarmati: Ja, wir werden schon draufkommen; was ich für gefährlich halte, ist, dass es zu lange dauert; in der Zwischenzeit sind wir unseren Feinden ausgeliefert.

Die Furche: Wer sind "unsere Feinde"?

Gyarmati: Wir benützen gemeinhin das Wort "Terrorismus" dafür; aber man muss nachfragen: Was ist die größte Gefahr, wer ist der Feind? Wenn vor dem Zweiten Weltkrieg jemand gesagt hätte, dass unser Feind der "Blitzkrieg" ist, hätte man gelacht. Aber Blitzkrieg oder heute Terrorismus sind Arten, wie man Kriege führt. Für Europa ist die Gefahr noch nicht so "clear and present", nicht so eindeutig zuordenbar wie für die Amerikaner; doch erst wenn wir eine eindeutige Mission haben, können wir uns über die Anzahl der Streitkräfte und die nötige Strategie dagegen einigen. Unser Problem ist auch, dass wir jetzt auch nicht sagen dürfen, wer der Feind ist, denn das wäre "politically incorrect", denn dann müssten wir Nationalitäten, Religionen nennen - und das dürfen wir nicht.

Die Furche: Seien Sie "politically incorrect"?

Gyarmati: Unsere Feinde sind insbesondere islamische Radikalisten, die den Islam, der dazu geeignet ist, benutzen, eine Ideologie der Zerstörung der europäischen jüdisch-christlichen Zivilisation herbeizuführen.

Die Furche: Kann gegen eine solche von Ihnen skizzierte Gefahr ein europäisches Militär etwas ausrichten?

Gyarmati: Davon bin ich überzeugt. Wie anfangs gesagt, unser militärisches Problem ist da, weil wir uns politisch nicht entschlossen haben.

Die Furche: Und was kann diesen politischen Willen, diese politische Entschlossenheit auslösen?

Gyarmati: Demokratien tun sich sehr schwer, mit Gefahren umzugehen; es fehlt auch an Staatsmännern; wir haben keine, wir haben Politiker, die wiedergewählt werden wollen, die sich den dringenden, aber nicht den wichtigen Problemen zuwenden. Ich sehe heute keinen Churchill, aber wenn die Gefahr einmal eindeutig erkannt und benannt ist, werden auch die nötigen Staatsmänner und Staatsfrauen kommen, die dagegen aufstehen und Europa mobil machen.

Das Gespräch führte Wolfgang Machreich.

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