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Zwei Standpunkte -zwei eigene Welten

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27. August, FS 2: Nach einem streckenweise sich eher hinziehenden,, Club 2" zum -Thema Kernkraft geriet plötzlich um Mitternacht ein Dialog zweier Teilnehmer zu einem zeitgeschichtlichen Dokument. Wir geben ihn nach einem privaten Mitschnitt auszugsweise im Wortlaut wieder, wobei auf Text-,, Verschönerungen "für die schriftliche Version bewußt verzichtet wurde.

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27. August, FS 2: Nach einem streckenweise sich eher hinziehenden,, Club 2" zum -Thema Kernkraft geriet plötzlich um Mitternacht ein Dialog zweier Teilnehmer zu einem zeitgeschichtlichen Dokument. Wir geben ihn nach einem privaten Mitschnitt auszugsweise im Wortlaut wieder, wobei auf Text-,, Verschönerungen "für die schriftliche Version bewußt verzichtet wurde.

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FREIMUT DUVE: Wir haben heute morgen in Bonn ein Friedensforum mit maßgeblichen Politikern meiner Partei (der SPD) und Experten und Generalen gehabt, und die Skepsis gegenüber der Neutronenwaffe war allgemein verbreitet. Wir werden da eine ganze Reihe von Differenzen, wenn nicht Dissonanzen zwischen Amerika und Europa haben.

Ich bin auch... entsetzt über das Militaristische, das wir aus der DDR in letzter Zeit immer wieder zu spüren bekommen, und ich bin auch sehr besorgt über sehr militärische Töne im inneren Gefüge der Sowjetunion.

Ich bin aber ebenso besorgt über das, was an fast explosionsartiger Begeisterung für neue Waffen, für eine neue Zurüstung im atomaren Bereich in letzter Zeit bei den Amerikanern festzustellen ist. Wir taumeln sozusagen von einer Nachrüstungsnachricht in die andere..., als hätten wir bisher lauter Papierblumen in der Hand gehabt, die wir als Raketen bezeichnet haben, und nun endlich bekämen wir echte Waffen...

EDWARD TELLER: Die Kernspaltungswaffen waren in ihrer Wirkung zehnmal so groß wie die älteren Waffen. Dann kam die Wasserstoffbombe, und sie war in ihrer Wirkung fast noch tausendmal größer.

Da nun kam die Angst, das ganze Wachstum würde so weitergehen und die Erde würde vernichtet. Es gibt aber einen guten Grund, den, wenn Sie wollen, ich im Detail ausführen kann, weil es sich einfach nicht lohnt, diese Waffen noch größer zu machen.

Außerdem - und das ist der Haupt-t>unkt - gibt es keine absoluten Waffen. Gegen eine jede Möglichkeit von Waffen gibt es einen SchuU. Heute sind wir in einem fortgeschrittenen Stadium der Kernwaffenentwicklung, wo man diese Waffen zum Schutz und nicht zur Zerstörung anwenden kann.

DUVE: Als Abschreckung?

TELLER: Nicht als Abschreckung! Ich bin gegen das Gleichgewicht des Schreckens, denn das ist kein Gleichgewicht. Ich bin für das Gleichgewicht des Überlebens. Wir brauchen Zivilschutz. Wir brauchen die kleinen Waffen, mit denen man die 40.000 Panzer der Russen zum Stehen bringen kann.

DUVE: Als Abschreckung?

TELLER: Nicht als Abschreckung, sondern als eine (Verteidigungs)waffe, wenn der Westen mit konventionellen Waffen angegriffen wird. Wir haben heute ein Werkzeug, mit dem man die konventionellen Waffen zerstören kann, ohne die Dörfer zu beschädigen, ohne die Städte zu beschädigen und ohne die beschützten Menschen zu beschädigen, wenn sie nicht zufäl-li"g mitten im Gefecht sind...

DUVE: Kann sein, daß die Neutronenwaffe genau die Eigenschaften hat, die Sie aufgezählt und beschrieben haben. So wie Sie gesagt haben, dient sie in ihrer Logik der Abschrek-kung konventioneller Angriffsabsichten...

Da es ein Politikum ist, kann jeder andere, der dazu iahig ist, sich nun das Recht nehmen, diese Waffen auch herzustellen, und dann haben Sie diese ausschließliche Verteidigungsfunktion nicht mehr, und damit fällt viel von dem guten Argument weg, das Sie vorgebracht haben.

Nein, ich bleibe dabei: Die Neutronenwaffe senkt die Schwelle (zu einem Atomkrieg). Gerade die, nun, nicht eben Begeisterung, aber: die Neutralität, mit der Sie über solche schrecklichen Werkzeuge sprechen können und nicht verstehen, wenn ein anderer stark emotional abgestoßen wird, daß so über Tötungswerkzeuge gesprochen wird, zeigt, daß hier Welten auseinanderklaffen..

Sie sind einer derjenigen, die am besten über Systeme nachdenken können, die Menschen mächen. Was das (Gespräch darüber) so wahnsinnig schwer macht, ist dies:

Wir haben es hier mit Menschen zu tun, die Waffensysteme ersinnen, aber ein Menschenbild habän, von dem ich annehme, daß es tief im 19. Jahrhundert wurzelt, während sie ein technisches BiM haben, das sich schon vom 21. Jahrhundert herleitet.

Wir aber haben es heute mit Menschen unseres Landes zu tun, die erschrocken sind, wenn sie solche Szenarien vorgesetzt bekommen, weil sie sich auch in ihrer Menschlichkeit verletzt fühlen. Das müssen Sie akzeptieren.

Die Menschen auf dieser Welt wollen sich nicht mehr von zwei, drei hervorragend ausgebildeten, technisch orientierten Gehirnen ihre Energiesysteme ausrechnen und vorschreiben lassen und sie wollen sich nicht mehr ihre Waffentechnik ausrechnen und vorschreiben lassen.

Die Menschen wollen diesen Typ von Experten nicht mehr, der für sich selbst ein fast idealistisches Menschenbild beansprucht, das im 18. Jahrhundert entwickelt und im 19. Jahrhundert gelebt worden ist, die aber gleichzeitig Geräte wertneutral in die Welt setzen und erklären, die unser Menschenbild verletzen und möglicherweise auch unser Menschsein beschädigen.

Ich glaube, daß wir darüber nur in einem ganz, ganz langen Gespräch überhaupt in einen Kontakt geraten, daß wir sozusagen kommunizieren könnten. Das geht heute abend nicht.

Aber Ihr Unwille darüber, daß Frau Koch zutiefst erschüttert ist über die Art, wie Sie über die Waffen geredet haben, zeigt, daß Sie nicht merken, daß dies alles Millionen Menschen ängstigt und peinigt und in ihrem Menschenbild beschädigt -ausgelöst durch eine ganz geringe Zahl von Forschern, von Entwerfern, die Weltverantwortung für sich in Anspruch nehmen...

Es gibt in der Geschichte ganz wenige Momente, wo einige Menschen für die ganze Welt Systemverantwortung beansprucht haben, sei es für das Energiesystem, sei es für das Waffensystem. Sie gehören dazu...

Durch Schicksal, durch Begabung haben Sie an Entscheidungen mitgewirkt, die globale Auswirkungen haben - negative, wie ich es empfinde, positive, wie andere meinen.

Das macht es Ihnen so schwer, zu begreifen, was in den Herzen und Köpfen der (anderen) Menschen vor sich geht. Wir werden versuchen, uns wieder loszulösen von der historischen Phase, in der wenige Menschen mit ihren wissenschaftlichen Gehirnen in ihren Geräten und Waffen das Weltschicksal bestimmen können. Das wollen wir nicht mehr, da wollen wir aussteigen. Das wollte ich Ihnen persönlich sagen.

TELLER: Glauben Sie wirklich, daß ich Ihre Besorgnis und die Tränen von Frau Koch nicht verstehe? Glauben Sie wirklich, daß ich nicht begriffen habe, daß diese Entscheidungen außerordentlich schwierig sind? Und wissen Sie nicht, daß ich es niemals vertreten habe...

DUVE: Das weiß ich

TELLER: ... und niemals vertreten werde...

DUVE: Hiroshima

(Prof Teller hat 1945 die Auffassung vertreten, die USA sollten nicht gleich eine Atombombe über Japan abwerfen, sondern in einer menschenleeren Gegend zur Explosion bringen und die Japaner unter Hinweis auf die damit bewiesene Zerstörungskraft zw Kapitulation auffordern. Erst wenn dies nichts nützen sollte, wäre ein Ab-wurf über eine japanische Stadt vertretbar, b. Red.)

TELLER: Nein, nicht nur Hiroshima. Ich meine vielmehr die Tatsache, daß Experten die letzten Entscheidungen treffen. Das einzige, das ich will, ist, daß man den Experten zuhört, daß man ihnen ruhig zuhört, daß man ruhig nachdenkt und erst nachher über Politik zu sprechen anfängt...

Es ist leicht, einem zu sagen: Du bist alt, du kümmerst dich um unsere Jungen nicht mehr. Ich habe Kinder. Ich habe Enkelkinder. Ich habe zwei Weltkriege erlebt. Im Ersten ist meine Heimat draufgegangen (Teller ist gebürtiger Budapester). Im Zweiten Weltkrieg wurde etwa die Hälfte meiner nahen Verwandten umgebracht -nicht auf eine schöne Weise.

Es gibt keinen in diesem Zimmer, und es gibt gar niemanden, glaube ich, bei unseren Zuhörern, die einen Dritten Weltkrieg nicht vermeiden möchten. Das ist und bleibt der Hauptzweck dessen, was von meinem Leben noch übrigbleibt. Der Erste Weltkrieg kam zustande durch ein Wettrüsten, der Zweite Weltkrieg durch ein Wett-Abrüsten, in dem die Demokratien abgerüstet haben, bis Hitler mit seiner militärischen Macht alleia dastand...

Um Frieden zu haben, brauchen wir Kraft in den Händen von Menschen, die Frieden höher schützen als Macht. Ich glaube, daß die Männer im Kreml den Frieden auch wollen, aber sie schätzen die Macht höher als den Frieden...

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