Die Rückkehr Des Pogroms

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Jörg Baberowski lehrt an der Berliner Humboldt-Universität osteuropäische Geschichte. Beim Philosophicum Lech referierte er über "Leben mit der Gewalt". Die FURCHE traf ihn am Rande des Symposiums zum ausführlichen Gespräch.

DIE FURCHE: Was wäre für Sie unerträglich oder "das Unerträgliche"?

Jörg Baberowski: Die Unterträglichkeit besteht darin, dass man den Schmerz, dem man ausgesetzt ist, nicht tragen kann. Und wenn man ihn nicht tragen kann, dann muss man, wenn möglich, weglaufen - oder man muss sich umbringen. Die Hölle, die im Jenseits liegt, ist etwas anderes: aus der kann man nicht heraus.

DIE FURCHE: Wir reden aber auch oft von einer "Hölle auf Erden"

Baberowski: Die "Hölle auf Erden" ist zunächst einmal ein Ergebnis des Todes Gottes und der Aufklärung und der Erkenntnis, dass die Menschen sich selbst und anderen das Leben schwer machen können. Die Hölle auf Erden ist ein Raum, wo Menschen gezwungen sind zu bleiben und der Willkür anderer hilflos ausgesetzt sind. Das wäre beispielsweise das Konzentrationslager, wäre der Schützengraben, das Bordell. All das sind Orte, wo es noch so etwas wie Hoffnung gibt, wo aber klar ist, dass man das Geschehen nicht einfach verlassen kann.

DIE FURCHE: Es gab immer wieder die Hoffnung, diese Orte eines Tages überwinden zu können. Sie glauben eher, wir müssten mit der Gewalt und dem Schrecken leben lernen

Baberowski: Wir müssen damit leben lernen, dass andere uns das Leben zur Hölle machen können. Und wenn wir das eingesehen haben, dann sind wir vorsichtiger, dann legen wir unsere Naivität ab. Gewalt wird nicht aus unserem Leben verschwinden. Von daher kann man sagen: Eine Politik, die präventiv wirkt, ist sicherlich effizienter als die Beschwörung des Weltfriedens, die zwar schön ist, aber nichts bewirkt. Deshalb bin ich immer schon ein Anhänger von Ordnung gewesen: weil ich glaube, dass Ordnung und Freiheit zwei Seiten derselben Medaille sind. Ohne Ordnung gibt es keine offene und freie Gesellschaft.

DIE FURCHE: Mit "Hölle" im diesseitigen Sinn verbinden wohl viele auch den islamistischen Terror. Wie wäre dem zu begegnen?

Baberowski: Wenn man mit dem Terror richtig umgehen will, dann muss man sich seinen Strategien aussetzen. Man muss zum Beispiel verstehen, dass Terroristen keine andere Wahl haben, als im Untergrund zu leben. Das macht sie aber auch verwundbar: Zum einen, weil die Polizei ihnen langfristig technologisch überlegen ist. Zum anderen, weil man Terroristen gegeneinander ausspielen kann -man kann Ausstiegsangebote machen, das hat immer schon gut funktioniert. Wenig halte ich von Beschwörungsformeln wie "das Leben geht weiter","wir lassen uns unsere Art zu leben nicht kaputt machen" und dergleichen mehr. Das zeigt den Terroristen nur, dass sie einen wunden Punkt getroffen haben. Man sollte sich stattdessen überlegen, wie man jungen Leuten, die aus welchen Motiven immer da hineingekommen sind, eine Ausstiegsoption eröffnet: Straferlass, Kronzeugenregelung, Zusage einer neuen Identität. Das soll man ganz pragmatisch angehen. Es ist kein einziges Beispiel aus der Geschichte bekannt, dass Terroristen gewonnen hätten. Das weist ja schon darauf hin, dass es sich letztlich um Versuche der Ohnmacht handelt.

DIE FURCHE: Manche meinen aber, indem wir Freiheit zugunsten von mehr Sicherheit opfern und bereits geopfert haben, hätten die Terroristen ihre Ziele zumindest teilweise schon erreicht.

Baberowski: Es ist ganz klar, dass die Terroristen erreicht haben, dass sich der öffentliche Raum neu strukturiert hat. Wir haben beispielsweise heute überall Überwachungskameras. Die Erfahrung zeigt aber auch, dass auf überwachten Plätzen die Gewalt zurückgeht. Die Einschränkung des Freiheitsraumes ist gering angesichts dessen, was wir dadurch gewinnen. Denn: je mehr Ordnung wir haben, desto mehr Entfaltungsmöglichkeiten haben wir auch. Jemand, der sich gar nicht mehr auf bestimmte Plätze traut, der hat auch keine Freiheit. Dazu kommt, dass die Sicherheitsorgane in demokratischen Gesellschaften kontrolliert sind.

DIE FURCHE: Speist sich die Hölle des islamistischen Terrors aus religiösen Paradiesesvorstellungen der Attentäter? Anders gefragt: Wie sehen Sie den Zusammenhang zwischen Religion und Terror?

Baberowski: Ich glaube, dass die Rolle der Ideologie bzw. Religion tendenziell überschätzt wird. Natürlich stehen am Anfang eines Handelns immer Motive. Was das genau ist, wissen wir aber gar nicht - wir wissen nur, dass sich jemand auf etwas beruft. Aber wenn man einmal da drinnen ist, dann gelten ganz andere Zwänge: Dann kann man nicht mehr zurück, dann muss man weiter töten, man ist jetzt plötzlich im Untergrund. Da nützt es nichts, mit Aufklärung und Bildung präventiv an die Leute heranzugehen. Das ist völlig sinnlos. Kein Mensch ist rund um die Uhr ideologisch motiviert, sondern er muss Hemmschwellen überschreiten, und er muss mutig genug sein, sich selbst in die Luft zu sprengen. Da ist es dann ziemlich egal, was jemand im Koran gelesen hat. Dazu kommt noch, dass man Menschen, die sich als Verlierer, als Nichtsnutze erfahren, sehr schnell gewinnen kann für "große" Aufgaben. Das spielt eine viel größere Rolle als Ideologie. Auch bei der RAF hat man sich nicht primär mit dem Kommunismus befasst.

DIE FURCHE: Aber unbestreitbar ist doch, dass der gegenwärtige Terror ein islamisches Gesicht hat. Der Satz "Nicht jeder Muslim ist ein Terrorist, aber (fast) jeder Terrorist ist Muslim" ist ja nicht falsch Baberowski: Richtig. Und vor 30 Jahren hätte man in der Dritten Welt gesagt: "Nicht jeder Nationalist ist ein Terrorist, aber jeder Terrorist ist ein Nationalist." Oder man hätte bei der RAF gesagt, dass sich die auf den Sozialismus oder Kommunismus berufen

DIE FURCHE: aber das ist ja auch nicht falsch

Baberowski: Nein, ist es nicht. Und die religiöse Motivation ist eben jetzt neu dazugekommen. In der arabischen Welt hat der Nationalismus nicht funktioniert, der Sozialismus hat auch nicht funktioniert: Das waren die zwei großen Ideologien, in deren Namen man andere Menschen umgebracht hat. Das ist vorbei -jetzt hat man die Religion als neue "Ressource". DIE FURCHE: Und wie erklären Sie sich, dass innerhalb der Religionen der Islam am "terrorismusanfälligsten" ist?

Baberowski: Das liegt daran, dass es im Islam keinen Säkularisierung, keine Reformation gegeben hat, keine Prozesse, in denen sich so etwas hätte herausbilden können, was wir Theologie nennen, einschließlich des kritischen Interpretierens von heiligen Schriften. Exemplarisch für das, was ich meine, ist der berühmte Hegel-Satz "Gott will, dass man ihn erkennt": Das ist das Entscheidende. Der Text spricht nicht einfach eine Wahrheit aus, sondern er muss seine Wahrheit gegen uns ausspielen und wir müssen uns mit unseren Vormeinungen mit dem Text auseinandersetzen. Das ist ein völlig anderes Verständnis als im Islam.

DIE FURCHE: Glauben Sie, dass in der islamischen Welt solche Prozesse noch bevorstehen, kann es sie überhaupt geben vom Selbstverständnis des Islam her?

Baberowski: Ich bin skeptisch. Ich glaube, diejenigen in der islamischen Welt, die sich so etwas wünschen würden, die sind eher areligiös bzw. können mit ihrer Religion wenig anfangen. Ich sehe da wenig Potenzial. Wo soll das auch herkommen, wenn es keine Theologie gibt, wenn es keine Kirche gibt, wenn es keine einheitliche Lehrmeinung gibt? Worauf ich ehrlich gesagt eher hoffe, ist, dass es in zehn Jahren eine neue "Sau" gibt, die durchs Dorf getrieben wird. Dass es irgendwann langweilig wird. Weil die nächsten Generationen nicht dasselbe tun wollen, was ihre Vorfahren getan haben. Nicht zuletzt weil sie sehen, dass auch das nicht funktioniert, dass man letztlich gar nichts erreicht.

DIE FURCHE: Wenn Sie den islamischen Terror für ein vorübergehendes Phänomen halten -woraus könnte sich der Terror der nächsten Dekade speisen?

Baberowski: Europa ist so unübersichtlich geworden, dass es wahrscheinlich zu einer Auflösung der traditionellen gesellschaftlichen Strukturen kommen wird, zu einer Tribalisierung, einer Vereinzelung. Ich glaube, dass das alte Muster des Pogroms und der interethnischen, religiös aufgeladenen Auseinandersetzung in unsere Lebenswirklichkeit zurückkehren wird. Darüber denken wir aber in Europa noch gar nicht nach. Unsere demokratischen Spielregeln wurden im Lauf der Zeit langsam antrainiert, haben sich aber zuletzt von selbst verstanden. Es war klar, dass sich auch die anderen daran halten. Wenn aber größere Gruppen kommen, die sagen, diese Regeln interessieren uns überhaupt nicht, dann kann der Staat mit den herkömmlichen Mitteln der Gewaltprävention gar nicht mehr operieren.

DIE FURCHE: Könnte die EU da ein Gegengewicht darstellen?

Baberowski: Ich glaube nicht, dass sie das tut. Ein Gegengewicht dazu sind die osteuropäischen Staaten, die auf dem alten Nationalstaat beharren, sich jeder Bevormundung aus Brüssel widersetzen. Das ist das eine Modell: zu sagen, der Nationalstaat hat uns Frieden, Wohlstand und Freiheit gebracht. DIE FURCHE: Ist das falsch?

Baberowski: Nein, das ist richtig. Und wir im Westen haben nicht verstanden, dass diese Länder leidvolle Erfahrungen der Unterdrückung, der Aufteilung und der Bevormundung durch große Nachbarn gemacht haben und extrem empfindlich sind. Überdies sehen sie, dass sie die Konflikte, die im Westen aufbrechen, nicht in dem Ausmaß haben -und sie wollen sie auch nicht haben.

DIE FURCHE: Und das andere Modell? Baberowski: Das wäre mehr Buntheit, mehr Integration -in der Hoffnung, dass sich alles in ein großes friedliches Straßenfest verwandelt. Daran glaube ich nicht. Ich fände es schön, aber ich glaube nicht, dass es so kommen wird. DIE FURCHE: Das wäre der Himmel

Baberowski: (lacht) Ja, das wäre der Himmel. Aber wir wissen, der Himmel ist auch langweilig

DIE FURCHE: Und der Versuch, den Himmel auf Erden zu realisieren, wird meist zur Hölle Baberowski:(lacht) Eben!

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