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Was regt sich im Gehirn,

sabine Weiss

Sprache ist eine Fähigkeit, die nur uns Menschen vorbehaltenen ist. Dass sie im Gehirn verarbeitet wird, weiß man bereits seit einigen hundert Jahren. Die unterschiedliche Beteiligung der beiden Hirnhemisphären an der Sprachverarbeitung sowie die Tatsache, dass dabei unterschiedliche Gehirnregionen verschiedene Rollen spielen, ist seit etwa 150 Jahren bekannt. Ging man früher von einer eher strengen Zuordnung der Sprachverarbeitungsprozesse zu anatomisch eng umgrenzten "Sprachzentrum" aus, so konnte während der letzten Jahrzehnte gezeigt werden, dass diese Prozesse auf der vernetzten Aktivität einer Vielzahl verschiedener Regionen der Gehirnrinde und auch tiefer liegender Gehirnstrukturen beruhen. Für eine intakte Sprachverarbeitung müssen diese Gehirnregionen jedenfalls miteinander kooperieren und je nach Anforderung kurzzeitige "funktionelle Sprachzentren" bilden, die ihrerseits aus einer großen Anzahl von Neuronenverbänden bestehen.

Eines der zentralen Themen in der Untersuchung von Sprache ist die Frage nach der Art und Weise, wie das Gehirn mit sprachlichen Einheiten wie etwa Wörtern umgeht. In der Schule lernen wir, dass es verschiedene Wortarten gibt, etwa Nomen oder Verben. Ob diese bewährte und alltagstaugliche Einteilung in Wortarten eine neuronale Entsprechung hat, ob also auch das Gehirn solche Kategoriensysteme verwendet oder ob es sich um eine künstliche Einteilung handelt, ist unklar. Nunmehr konnte jedoch gezeigt werden, dass die Einteilung in abstrakte (z.B. Idee) und konkrete (z.B. Hase) Nomen wahrscheinlich nicht künstlich ist, zeigten sich doch anhand hirnphysiologischer Prozesse Unterschiede, die jeweils typisch für die eine oder die andere Untergruppe sind. Während bei der Verarbeitung von konkreten Begriffen eine Vielzahl von sprachrelevanten Gehirnregionen miteinander kooperieren, so sind bei abstrakten Begriffen nur wenige Regionen beteiligt. Bei den Verben hingegen können nach physiologischen Untersuchungen Untergruppen festgestellt werden, die nicht jener Einteilung entsprechen, wie sie die traditionelle Grammatik vornimmt. Eher ist eine Einteilung in bildhafte Verben (z.B. hüpfen) und weniger bildhafte Verben (z.B. nennen) vorzunehmen.

Wesentlich für die Sprachverarbeitung ist auch das Gedächtnis, wobei gezeigt werden konnte, dass für sprachliche Gedächtnisprozesse nur Kooperationsnetzwerke in bestimmten Frequenzen des Elektroenzephalogramms wichtig sind. Beim Merken von Wörtern, an die sich die Versuchspersonen in der Folge erinnern, sind mehr Gehirnregionen miteinander vernetzt als beim Einprägen von Wörtern, bei denen die Erinnerung nicht eintritt. Gezeigt wurde auch, dass Personen mit guter Gedächtnisleistung weitflächigere Kooperationsnetzwerke im Gehirn aufweisen als solche mit schwächerer Gedächtnisleistung. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass anhand der Beschaffenheit der neuronalen Kooperationsnetzwerke auch die mittlere Gedächtnisleistung vorausgesagt werden kann.

Sprechende Computer

Einer der Mechanismen, der die parallele Informationsverarbeitung im Gehirn ermöglicht, ist der Informationstransfer über lange Strecken via Frequenzkodierung: Ein einzelnes Signal kann dadurch unterschiedliche Aspekte der Information beinhalten - kodiert innerhalb verschiedener Frequenzen. Das würde auch die enorme Geschwindigkeit unserer Informationsverarbeitung erklären. Zusätzlich könnte die Annahme kurzzeitiger "funktioneller Sprachzentren" die spontane Erholung bei Patienten mit einer erworbenen Sprachstörung (Aphasie) verständlich machen, können doch fehlende Funktionen nach einer Phase der Reorganisation der Nervenzellen von neu rekrutierten neuronalen Netzwerken übernommen werden.

Diese Erkenntnisse könnten fruchtbringend sein in der Behandlung von Sprachentwicklungsstörungen bei Kindern, aber auch in der Erleichterung des Zweitspracherwerbs bei Erwachsenen. Ebenso unterstützen diese Ergebnisse jenes Vorhaben zur Programmierung sprachverstehender Computer, das im Rahmen einer Kooperation mit dem Sonderforschungsbereich 360 "Situierte künstliche Kommunikatoren" der Universität Bielefeld verfolgt wird. Darunter sind formale Systeme zu verstehen, die sich in ähnlicher Weise verhalten wie in natürlicher Umgebung kommunizierende Menschen. Im Unterschied zu bisherigen Robotern, die stets nur identische Abläufe in gleichförmig wiederkehrenden Situationen beherrschen, handelt es sich bei dem künstlichen Kommunikator um ein robustes, also störungstolerantes System, das unterschiedliche sprachliche Anweisungen ausführen kann.

Die Anzahl fächerübergreifender Arbeitsgruppen, die in der Kombination von Neurolinguistik, -biologie und -informatik neue Erkenntnisse zur Sprachfunktion suchen, um Sprachverarbeitungsprozesse in einem formalen System ablaufen zu lassen, steigt jedenfalls ständig. Die Ergebnisse der nächsten zehn Jahre werden zeigen, ob die hohen Erwartungen erfüllt werden können. Angesichts der enormen Entwicklung in der kognitiven Neurowissenschaft und der Informatik ist jedoch zu vermuten, dass die Realisierung eines künstlichen Kommunikators für einfache Szenarien in absehbarer Zeit möglich ist.

Die Autorin

ist Leiterin des Hertha-Firnberg-Forschungsprojekts "Funktionelle kortikale Netzwerke während des Sprachverstehens" am Institut für Hirnforschung der Universität Wien.

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