"Noch können wir nicht Gedanken lesen"

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Hirn-Computer-Schnittstellen zählen zu den Schwerpunkten von Niels Birbaumer: Er war weltweit der erste Forscher, der völlig gelähmte Patienten dazu brachte, sich allein mit der Kraft ihres Denkens mitzuteilen. Ein Gespräch über die Spurensuche in fremden Köpfen.

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Hirn-Computer-Schnittstellen zählen zu den Schwerpunkten von Niels Birbaumer: Er war weltweit der erste Forscher, der völlig gelähmte Patienten dazu brachte, sich allein mit der Kraft ihres Denkens mitzuteilen. Ein Gespräch über die Spurensuche in fremden Köpfen.

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Die Potenziale des Gehirns auch dann zu erschließen, wenn andere sie nicht mehr sehen, ist so etwas wie ein Kernthema in Niels Birbaumers langjähriger Forschung. Die FURCHE bat den Tübinger Seniorprofessor im Rahmen des Biologicum Almtal zum Gespräch.

DIE FURCHE: Wie kann man dem Gehirn beim Denken zusehen - und wem kann dies zugute kommen?

Niels Birbaumer: Wir haben uns mit dem Einsatz bei schwer gelähmten Menschen beschäftigt, etwa Patienten mit Amyotropher Lateralsklerose (ALS), die im Endstadium der Erkrankung keinen Muskel mehr bewegen können. Es ist davon auszugehen, dass diese Menschen keine Gehirnschädigung und somit noch einen intakten Geist haben. Bisher war es nicht möglich, mit ihnen Kontakt aufzunehmen, weil sie weder über die Mimik noch mit den Augen kommunizieren können.

DIE FURCHE: Welche Strategien gibt es, um Zugang zu diesen Patienten zu bekommen?

Birbaumer: Jahrelang haben wir es mit Hirn-Computer-Schnittstellen versucht, ohne Erfolg. Dann haben wir auf eine andere Situation umgeschaltet und nur simple Fragen gestellt: "Ist Wien die Hauptstadt von Frankreich?" oder "Ist Wien die Hauptstadt von Österreich?" Wir fragen auch zur familiären Vergangenheit, wo wir davon ausgehen, dass die Patienten die Antworten wissen. Mit Spektroskopie haben wir dabei ihre Gehirndurchblutung gemessen, und damit konnte man Ja-Nein-Antworten erkennen.

DIE FURCHE: Woher weiß man, was im Gehirn eine Ja-und was eine Nein-Antwort ist?

Birbaumer: Über hunderte solcher Fragen bildet sich im Computer ein Algorithmus, der bei der Antwort sofort zwischen den Durchblutungsmustern unterscheiden kann: Wenn die Patienten ein Ja denken, zeigt sich ein anderes Muster als bei Nein. Die Unterschiede sind bei ein und derselben Person konstant. Natürlich gibt es keine objektive Methode um festzustellen, ob das stimmt. Wir können ja noch nicht Gedanken lesen. Aber wir können das schrittweise verifizieren, wie bei einem Lügendetektor: Wir fragen die Verwandten oder wir schauen, wie stabil die Antworten auf die gleiche Frage über Monate hinweg sind. Am Ende gibt es eine gewisse Sicherheit, dass wir verstehen, was der Patient sagen will.

DIE FURCHE: Wie ist die Situation bei schwer gelähmten Schlaganfallpatienten?

Birbaumer: Da gibt es einen anderen Ansatz: Der Patient hat einen Roboter festgebunden in der gelähmten Hand. Dann denkt er, dass er die Hand öffnen möchte. Der Computer erfasst die Aktivität im Gehirn, und der Roboter öffnet die Hand. Das geht so tausende Male. Nach jeder Sitzung kommt ein Physiotherapeut, und dann muss der Patient dieselbe Bewegung nochmals trainieren. Im Labor funktioniert es, draußen ist oft alles wieder weg. Wenn man das aber kombiniert, zeigen sich Verbesserungen.

DIE FURCHE: Gibt es Weiterentwicklungen der Gehirn-Computer-Schnittstellen?

Birbaumer: Bei Schlaganfallpatienten pflanzen wir bereits hunderte Mikroelektroden in jene Gehirnzellen ein, welche die Hand steuern. Angesichts positiver Daten aus Tierversuchen hofft man, dass allein über das Denken die Bewegung jedes Fingers gesteuert werden kann. Die Elektroden im Gehirn zu belassen, ist derzeit noch schwierig, da die Elektroden-Entwicklung nicht so schnell voranschreitet, wie wir das gerne hätten. Die Hoffnung ist, dass auch ein vom Gehirn getrenntes Rückenmark motorisch lernen kann.

DIE FURCHE: Sie haben etwa auch bei kriminell gewordenen Psychopathen Hirnverfahren eingesetzt. Wie soll das funktionieren?

Birbaumer: Da setzen wir auf Neuro-Feedback: Die Patienten sitzen vor einem Bildschirm und beobachten die eigene Gehirnaktivität. Der Computer gibt ihnen den Auftrag, manche Aktivitäten zu verstärken, andere zu schwächen, um damit Einfluss auf bestimmte Gehirnareale auszuüben. Wenn sich das Gehirn normalisiert, so die Hoffnung, soll sich das auch auf das Verhalten auswirken. In der Psychotherapie weiß man nicht, was das Gehirn tut; also versucht man das Verhalten zu ändern. Die Rückfallquoten aber sind oft hoch. Also gehen wir jetzt den umgekehrten Weg: Zuerst versuchen wir die Gehirnaktivität, dann erst das Verhalten zu verändern.

DIE FURCHE: Aber da braucht man doch die Mitarbeit der Patienten - ist das in dieser Gruppe nicht besonders schwierig?

Birbaumer: Natürlich sind die Leute nicht motiviert: Dem Psychopathen ist völlig egal, was der Therapeut da macht. Aber mit ein bisschen Geld geht alles. Psychopathen sind weitgehend angstfrei, weil etwa der Mandelkern ihres Gehirns wenig aktiv ist. Sie gehen bei Rot über die Kreuzung, weil sie keine Angst vor Konsequenzen haben. Sie empfinden kein negatives Gefühl, wenn sie Verbote übertreten. Wir haben bei Schwerverbrechern gezeigt, dass sich die betroffenen Gehirnareale wieder in Gang bringen lassen. Daten aus Langzeit-Beobachtungen gibt es freilich noch nicht.

DIE FURCHE: Neuro-Feedback kommt ja auch bei Suchtkrankheiten zum Einsatz...

Birbaumer: Süchtiges Verhalten zu ändern, ist oft langwierig. Manche Alkoholiker sind zwar abstinent, aber das Gehirn reagiert so wie früher auf Alkohol. Hier ist es günstig, auch die Hirnaktivität zu trainieren, um vor einem Rückfall zu schützen. Die Kombination von Hirnverfahren mit Psychotherapie ist wohl der Weg der Zukunft.

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