Neue Ausdrucksformen Aufsaugen

Werbung
Werbung
Werbung

"Kinder haben die größte Aufnahmefähigkeit und zugleich die geringsten Probleme, die Aussprache authentisch nachzuahmen."

"Die kritische Periode für den Spracherwerb scheint viel länger zu sein als bisher angenommen. Bis 18 Jahre bleibt die Fähigkeit zum Grammatik-Lernen stabil ."

Das Lernen einer Fremdsprache ist das beste Training für das Gehirn. Es werden viele neue Verknüpfungen zwischen den Nervenzellen gebildet und aktiviert, und die Hirnforschung hat gezeigt, dass Lernen tatsächlich bis ins hohe Alter möglich ist. Wie gut der Spracherwerb funktioniert, hängt also bei weitem nicht nur vom Alter ab. Ein aktiver, lerngewohnter und mehrsprachiger 70-Jähriger kann beim Fremdsprachen-Lernen erfolgreicher sein als ein desinteressierter und wenig motivierter 20-Jähriger.

Für den Spracherwerb kann man tatsächlich in jeder Altersphase wertvolle Ressourcen entdecken. So haben Kinder die größte Aufnahmefähigkeit und zugleich die geringsten Probleme, die Aussprache authentisch wie ein Muttersprachler nachzuahmen. Wie ein Schwamm saugen sie neue Ausdrücke und Begriffe auf; und wie ein kleiner Audio-Recorder nehmen sie sprachliche Laute auf und spulen sie genauso wieder ab. Das akzentfreie Sprechen fällt den 20-bis 30-Jährigen zwar schon weitaus schwerer -doch diese haben bereits zahlreiche Lernstrategien verinnerlicht und profitieren von ihren vielfach eingeübten Lernroutinen. Menschen über 50 wiederum tragen einen großen Wissensfundus mit sich, an den sie beim Sprachenlernen leicht anknüpfen können. Und Pensionisten haben in der Regel das kostbarste Gut, um sich voll und ganz dem Sprachenlernen zu widmen: viel frei verfügbare Zeit. Durch Fleiß und gute Vorbereitung sind sie jüngeren Lernenden im Bereich der Grammatik und des Wortschatzes oft sogar überlegen, berichtet das deutsche Goethe- Institut.

Je früher, desto besser?

Auch das Motto "Je früher, desto besser" ist keineswegs dogmatisch zu verstehen, denn nicht alle Kinder eignen sich gleichermaßen für die frühe Mehrsprachigkeit. Manchen fällt das Sprachenlernen leicht, andere aber können dadurch überfordert sein. Schließlich haben ja Kinder bereits in ihrer normalen Entwicklung genügend Aufgaben zu bewältigen.

Dass es aber biologische Bedingungen gibt, die den Spracherwerb in der Kindheit und Jugend gegenüber späteren Lebensphasen begünstigen, ist angesichts der Evidenz aus zahlreichen Studien nahe liegend. So werden bei der Reifung des Gehirns die Nervenfasern allmählich mit Myelin überzogen; dieser Prozess nimmt im Verlauf der Kindheit zu. Aufgrund dieser Isolierschicht werden die elektrischen Impulse der Nerven schneller weitergeleitet; damit aber lassen sich nicht mehr so leicht Verbindungen zwischen den Neuronen knüpfen. Ab der Lebensmitte steigt dann auch die Fehleranfälligkeit der Verknüpfungen im Gehirn. Und im Alter werden mitunter weniger Botenstoffe im Gehirn produziert, die für das Lernen eine Rolle spielen -darunter auch Dopamin, das mit der Motivation in Verbindung gebracht wird. Viele Experten gehen somit davon aus, dass Menschen, die erst als Erwachsene eine Sprache zu lernen beginnen, nicht das Niveau eines Muttersprachlers ("Native Speaker") erreichen können. Doch wie genau das Zeitfenster beschaffen ist, um eine neue Sprache bestmöglich zu erlernen, darüber gibt es heftige Diskussionen. Nimmt das biologische Potenzial zum Erlernen einer Fremdsprache bereits nach der Geburt allmählich ab? Gibt es einen merklichen Abfall, wenn das Kind fünf Jahre alt geworden ist? Oder erst, wenn die Pubertät einsetzt, wie so viele Forscher behaupten?

Neue Hinweise kommen nun von einer Studie am renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT), die vor kurzem im Fachjournal Cognition veröffentlicht wurde. Die US-amerikanischen Forscher haben darin die Sprachfertigkeiten von knapp 670.000 Menschen erfasst. Das ist die größte Datensammlung, die jemals für eine Studie zum Spracherwerb herangezogen wurde. Um an möglichst viele Studienteilnehmer heranzukommen, die gerade in verschiedensten Phasen des Englisch-Lernens waren, hatten die Wissenschaftler ein unterhaltsames Grammatik-Quiz über die sozialen Medien verbreitet. Der Anreiz war erfolgreich, die Rückmeldungen über das Internet kamen in überraschend großer Zahl. Anschließend erfolgte die Auswertung, ab wann und wie lange schon die Teilnehmer die Sprache erlernten. Und das Ergebnis bietet nun Anlass, gängige Annahmen infrage zu stellen.

Biologie oder Umwelt?

Demnach scheint die kritische Periode für den Spracherwerb viel länger zu sein, als die Forscher bislang dachten. Bis zu einem Alter von 17-18 Jahren bleibt die Fähigkeit zum Grammatik-Lernen weitgehend stabil, erst danach kommt es zu einem merklichen Abfall. Zugleich zeigte sich, dass das Niveau eines Muttersprachlers meist nur dann zu erreichen ist, wenn bis zum elften Lebensjahr mit dem Sprachenlernen begonnen wird. "Wir sehen kaum einen Unterschied zwischen Menschen, die bereits ab der Geburt Englisch lernen, und jenen, die erst mit zehn Jahren beginnen", sagt Joshua Hartshorne, Psychologe am MIT und einer der Studienautoren. "Personen, die im Alter von zehn bis 18 Jahren mit dem Sprachenlernen beginnen, schreiten zwar noch immer rasch voran. Aber da sie ein kürzeres Zeitfenster haben, bis ihre Sprachfähigkeit abnimmt, erreichen sie nicht mehr die Perfektion eines Muttersprachlers."

Eine triftige Erklärung für diese Beobachtungen kann die Studie freilich nicht liefern. Sind es eher Veränderungen im Gehirn oder sind es kulturelle Faktoren, die hier eine maßgebliche Rolle spielen? Dahinter steckt ein uraltes Streitthema, das immer wieder aufflammt: Ist es die Biologie oder die Umwelt ("Nature or nuture")? Beides könnte zutreffen, spekulieren die Forscher. So sei das Alter von 18 Jahren in vielen Gesellschaften mit einem biographischen Umbruch verbunden: Man verlässt oft das elterliche Zuhause, beginnt zu arbeiten oder zu studieren. All das könnte auf den Erfolg beim Sprachenlernen zurückwirken. Aber das Alter ist ohnehin nur ein Faktor, der neben vielen anderen in das Sprachenlernen hineinspielt -und dabei weniger relevant als Lernerfahrung oder Motivation, wie das Goethe-Institut betont. Eines jedenfalls steht fest: Für das Erlernen einer Fremdsprache ist es nie zu spät.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung