Falsche Regierung - teils richtige Ansätze

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Es ist ein erhellendes Gedankenspiel: Man denke sich die nationalkonservative Regierung des Rechts und der Gerechtigkeit (PiS) in Polen einmal ohne ihre Angriffe auf Rechtsstaat und Verfassungsgericht, Propaganda in den Staatsmedien und das schrille Vorgehen gegenüber EU und Flüchtlingen. Was bleibt ohne diese und andere Verfehlungen? Ein neuer Ansatz in der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Dieser trägt etatistisch-sozialdemokratische Züge und nimmt Abschied von einem unkontrollierten Wirtschaftsliberalismus. Diese Linie brachte der PiS entscheidende Punkte beim Wahlsieg 2015 und sichert ihr auch heute hohe Zustimmungswerte. Natürlich ist demokratiezersetzendes Regierungshandeln prinzipiell nicht teilbar.

Kritiker im In- und Ausland sollten aber nicht alle PiS-Reformen pauschal verurteilen. Zuletzt passierte das etwa mit der "Strategie für verantwortungsvolle Entwicklung", die eine im Weichsel-Kapitalismus bisher ungekannte Aktivrolle des Staates vorsieht. Ziel ist die Förderung heimischer Unternehmen und Branchen, die Steigerung der Investitionen und der Einkommen der Bürger. Das 220-Seiten-Papier enthält viele sinnvolle Ansätze wie die Pläne für einen Staatsfond, Kritiker sehen aber nur die Probleme. Sie verkennen dabei, dass auch eine im Kern falsche Regierung die richtigen Dinge tun kann. Denn auch in der Sozialpolitik versucht die PiS die Fehler ihre Vorgänger - auch jene der nominellen Mitte-links-Parteien, zu bereinigen. Es sind teils wichtige und zumindest im Ansatz richtige Reformen: die Anhebung des Mindestlohns, der Kampf gegen Steuerschlupflöcher, der Bau von Mietwohnungen und die Unterstützung von Familien mit Kindern.

Die Kritik der Unternehmensverbände an diesen Reformen spricht für deren Richtigkeit. Viele der Maßnahmen kommen in großen Teilen der Bevölkerung deswegen so gut an, weil sie dringend notwendig sind. PiSähnliche, rechtspopulistische Formationen sind in vielen EU-Staaten nicht nur aufgrund von Terroranschlägen und Flüchtlingsströmen - beides in Polen eher unbekannt - im Aufwind. Sondern auch, weil es soziale Verwerfungen gibt - absolut und relativ je nach Land. Ob die Antworten der PiS auf diese Fragen den staatlichen Haushalt sprengen werden, bleibt abzuwarten. Doch Antworten sind gefragt. Denn das im Westen in den letzten Jahren wahrgenommene Bild Polens als "wirtschaftlicher Musterknabe" war und ist unvollständig: ein BIP-Wachstum über EU-Schnitt, vielerorts eine bessere Infrastruktur, der Aufstieg einer neuen Mittelschicht. Letztere war die Stammklientel der abgewählten, liberalkonservativen Bürgerplattform (PO). Arbeiter, Junge und Bewohner der verarmten Kleinstädte ließen sich nur schwer für die PO gewinnen. Die Probleme des Landes ließ sie indes links liegen. Und weil sich links niemand sonst fand, stieß die national-katholische PiS in

diese Lücke. Vertreter der Linkspartei Razem räumen inzwischen ein, dass die PiS im Kern genau ihr Programm durchsetzt. Nicht alle Akteure sehen die Entwicklungen so nüchtern. Die EU-Kommission etwa scheint auf einem Auge blind. So kritisiert sie zwar zu Recht den Versuch der PiS, das Verfassungsgericht zu entmachten. Doch nun hat Brüssel auch ein Verfahren gegen die Regierung eingeleitet, weil diese mit einer neuen Einzelhandelssteuer die großen, meist ausländischen Konzerne zur Kasse bitten will. Auch dieser Ansatz geht in eine richtige Richtung: Hohen Umsatz stärker zu besteuern und damit kleinere Geschäfte gegenüber Großkonzernen zu stärken. Sollte Brüssel dieses Gesetz kippen, dürfte es dabei neben den Handelskonzernen noch einen Gewinner geben: die PiS. Sie wird Brüssel bezichtigen, im Sinne transnationaler Unternehmen und gegen die Interessen polnischer Firmen zu agieren.

Mit ihrem Wirtschafts- und Sozialkurs hat die Partei um Strippenzieher Jaroslaw Kaczynski freilich keinen egalitären Staat zum Ziel. Sie will vielmehr einer neuen, "nationalen Mittelschicht" auf die Beine helfen, die dann langfristig jene nationalen bis nationalistischen Elemente der PiS-Politik an den Wahlurnen absichern soll. Für Polen wäre es daher zwar besser, wenn die PiS in drei Jahren die Wahlen verliert. Doch es wäre zu wünschen, dass ihre teilweise sinnvollen Wirtschafts- und Sozialreformen bis dahin tief genug gesetzt sind und greifen - sodass ihre möglichen Nachfolger sich an diesen messen müssen.

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