Nachfolger für Präsidentin gesucht

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Die Amtszeit von Chiles erster Präsidentin Michelle Bachelet geht zu Ende. Im Unterschied zu vielen Männern in Lateinamerikas Präsidentenämtern strebt sie keinen Verbleib im Amt an. Doch die Suche nach einem Nachfolger gestaltet sich schwierig.

Michelle Bachelet, die noch amtierende Präsidentin und erste Frau im höchsten Staatsamt Chiles, hat in den vier Jahren ihrer Regierung das Land auf einen Erfolgskurs geführt, der ihr zu Ende ihrer Amtszeit traumhafte Popularitätswerte von etwa 80 Prozent Zustimmung beschert. Sie hat tief greifende Reformen durchgeführt, die die Lebensbedingungen breiter Bevölkerungsschichten spürbar verbesserten: die Altersvorsorge, die Gesundheitsversorgung, eine Grundrente für die Ärmsten.

Bachelet war die Kandidatin des Mitte-Links-Bündnisses „Concertación“ (Absprache, Vereinbarung), das vor allem aus der Sozialistischen Partei und den Christdemokraten besteht und in den letzten zwanzig Jahren, nach dem Ende der Pinochet-Diktatur, alle Regierungen stellte. In sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht war ihre Amtsperiode zweifellos die erfolgreichste Präsidentschaft. Dennoch bröselt es zur Zeit kräftig in dem Parteienbündnis. Kandidat Eduardo Frei, bereits von 1994 bis 2000 Staats- und Regierungschef des Landes, liegt in den Umfragewerten weit zurück hinter dem Kandidaten der Rechten, Sebastián Piñera. Frei ist übrigens der Sohn des christdemokratischen Reformpräsidenten Eduardo Frei (1964–1970), dessen Vater Eduard Frei in Feldkirch in Vorarlberg auf die Welt kam.

Ein steinreicher Kandidat mit Nähe zur Pinochet-Diktatur

Mehrere führende Politiker des linken Flügels haben das Bündnis Concertación in den letzten Jahren verlassen und sind nach links oder nach rechts abgewandert. Dabei richtet sich die Kritik, etwa Korruptionsvorwürfe, gar nicht so sehr gegen den Kandidaten Frei, sondern gegen die Concertación im Allgemeinen und die Christdemokraten im Besonderen. Es wird für möglich gehalten, dass die Tage des Bündnisses gezählt sind, egal wer nun als Nachfolger Bachelets in den Präsidentenpalast Moneda einzieht.

Der steinreiche Rechtskandidat Piñera wiederum ist ein erfolgreicher Unternehmer und Aktienjongleur und hat es sogar in die Forbes-Liste der reichsten Menschen der Welt geschafft. Doch er hat selbst im rechten Lager viele politische Feinde. Den Vorwurf der Nähe zur Militärdiktatur versucht er dadurch zu entkräften, dass er beim Plebiszit 1988 mit „Nein“, d.h. gegen den Verbleib Pinochets an der Macht, stimmte. Seine größte Stärke ist hingegen die Schwäche seines politischen Hauptgegners, der Concertación.

Doch da gibt es noch einen Überraschungskandidaten in Chile. Der große und unerwartete Herausforderer bei den Wahlen am 13. Dezember ist der erst 36-jährige Marco Enríquez-Ominami, wegen seines langen Namens von den Medien bereits als ME-O abgekürzt. Der einstige sozialistische Abgeordnete verließ die Partei, da diese ihn nicht bei den internen Vorwahlen aufstellen wollte, und postulierte sich im Jänner 2009 als unabhängiger Kandidat. Seine jugendhafte Erscheinung, seine gute Medienpräsenz – er selbst ist TV-Regisseur – und seine Slogans von frischem Wind, von Veränderung, von Effizienz haben ihn in kurzer Zeit in den Meinungsumfragen hochschnellen lassen. Vorteilshaft für ihn ist auch sein familiärer Hintergrund: Er ist der Sohn des legendären Führers der MIR-Guerilla, Miguel Enríquez, der bald nach dem Putsch von den Schergen der Diktatur erschossen wurde. Der jetzige Kandidat war damals, 1974, gerade ein Jahr alt. Sein Adoptivvater Carlos Ominami ist Senator der Sozialistischen Partei.

Das größte unerledigte Problem, das Bachelet ihrem Nachfolger hinterlässt, ist der Konflikt mit den Mapuche, dem größten Volk der chilenischen Ureinwohner mit etwa 650.000 Angehörigen, die vor allem im Süden des Landes leben. Auch unter Bachelet, deren Vater durch die Diktatur ums Leben kam, wurden die Mapuche mit Pinochets Antiterror-Gesetz bekämpft und unterdrückt. Der Hauptgrund für dieses viel kritisierte Verhalten Bachelets ist die Vorstellung, die um ihre Landrechte und die Erhaltung ihrer Umwelt kämpfenden Indigenen könnten die wirtschaftliche Ausbeutung der ländlichen Regionen behindern. Im vergangenen Oktober kam es zu einem Wiederaufflammen der Auseinandersetzungen in der südchilenischen Provinz Araukarien mit äußerst gewaltsamem Vorgehen der Nationalpolizei gegen die einheimische Bevölkerung. Ein Sektor der Mapuche hat daraufhin dem chilenischen Staat den Krieg erklärt und will für eine unabhängige Nation südlich des Flusses Bio Bio kämpfen.

Wenn Marco Enríquez-Ominami in die Stichwahl am 17. Jänner aufsteigt, wird die Wählerschaft der Concertación entscheiden. Es gilt als höchst wahrscheinlich, dass die Christdemokraten ihre Stimme mehrheitlich dem Rechtskandidaten Piñera geben werden, während sich der linke Flügel auf die Seite des unabhängigen Kandidaten stellen dürfte.

Der neoliberale Kurs mit sozialer Abfederung wird fortgesetzt

Nach der jüngsten Meinungsumfrage würden derzeit im ersten Durchgang 20,4 Prozent für Enríquez-Ominami stimmen, 21,5 Prozent für Frei und 38 Prozent für Piñera. Bei einer Stichwahl allerdings würden 37,7 Prozent Ersterem und 41,9 Prozent Letzterem ihre Stimme geben. Das Wahlverhalten der Christdemokraten wird den Ausschlag geben. Doch obwohl es aussieht wie eine Richtungswahl zwischen rechts und links, würde sich auch bei der Wahl von Enríquez-Ominami in wirtschaftlicher Hinsicht wenig ändern: Er würde den neoliberalen Kurs Bachelets mit sozialer Abfederung beibehalten. Entscheidende Änderungen würden sich allerdings auf der gesellschaftspolitischen Ebene ergeben. Hinter Piñera steht die konservative Kirche, die gegen Familienplanung und Anerkennung homosexueller Partnerschaften kämpft, während der unabhängige Kandidat bei den Wertefragen eine progressive Linie einnimmt.

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