Ein Jahrhunderttreffen

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Die Geschichte der zwei Monate, in denen Vincent van Gogh und Paul Gauguin gemeinsam malten.

Vincent van Gogh und Paul Gauguin im "gelben Haus" in Arles: Staatsmänner, Geistesgrößen, gekrönte Häupter, Leuchten der Wissenschaft haben einander im 19. Jahrhundert zu Tausenden getroffen und die meisten ihrer Treffen sind vergessen, doch die Zusammenkunft zweier Maler, eines völlig Unbekannten und eines, über den man schon redete, ging in die Geschichte ein. Sie wurde zu einer Legende, die noch das übernächste Jahrhundert beeindruckt. Ob dieser Legende auch ohne Vincents verstümmeltes Ohr ein so langes, vitales Nachleben geblüht hätte?

Für den Wert der Bilder, welche die beiden in den wenigen Wochen ihrer Zusammenarbeit malten, könnte man sich heute prachtvolle Schlösser und mittlere Unternehmen kaufen. Bloß gibt es noch immer Unklarheiten darüber, welche Bilder in diesen zwei Monaten entstanden. Einige konnten nun behoben werden. Wieder einmal machte ein Ausstellungsprojekt Untersuchungen möglich, die nicht nur Geld kosten, sondern unter normalen Umständen oft kaum möglich sind, weil sich viele Museen sträuben, kostbare Bilder ohne dringende Notwendigkeit abzunehmen.

Die gleiche grobe Jute

So machten die beiden, deren Treffen vom 23. Oktober bis zum 25. Dezember 1888 dauerte, am 26. Oktober einen Ausflug in die Umgebung von Arles, bei dem Gauguin zwei Bilder begann. Aber welche? Van Gogh beschrieb sie in einem Brief an seinen Bruder Theo nicht genug genau für eine sichere Identifizierung. Eines gilt als verloren, das andere wurde bisher zeitlich falsch eingeordnet. Es konnte nun auf Grund der von beiden verwendeten Leinwand, einer groben Jute, ermittelt werden.

Die Ausstellung "Van Gogh und Gauguin", die bis 2. Juni im Amsterdamer Van Gogh Museum zu sehen ist, nachdem sie zuvor im Art Institute of Chicago Furore machte, gilt aus drei Gründen als Ereignis: Weil das Drama dieser Begegnung noch immer fasziniert, weil man so viele in alle Welt verstreute Werke vor allem van Goghs nicht mehr so bald wieder an einem Ort sehen wird und wegen der im Vorfeld der Ausstellung, zum Teil auch schon vorher, gewonnenen neuen Erkenntnisse: Die gegenseitige Beeinflussung und die Nachwirkung der Begegnung bei beiden waren tiefgreifender als bisher angenommen. Das geht nicht nur aus genaueren Datierungen einiger Werke und stilistischen Bezügen hervor, sondern wird auch durch Zeugnisse von Zeitgenossen erhärtet. Sie selbst sahen einander nicht wieder, blieben aber bis zu van Goghs Tod in Verbindung.

Anläßlich der Ausstellung erschien ein Buch, in dem viele kaum bekannte Bilder abgebildet sind und das wichtige neue Facetten zum Verständnis beider Maler beisteuert: "Van Gogh und Gauguin - Das Atelier des Südens". Als van Gogh 1887 den um fünf Jahre älteren Gauguin kennen lernte, sah er in ihm den gesuchten Partner für das "Atelier des Südens", das ihm seit längerem vorschwebte. Er war bereit, dem gewandteren, weltläufigen Freund eine Führungsrolle zuzugestehen. Die Autoren arbeiten die Interessensgemeinschaft der beiden heraus, die viel verständlicher wird, wenn man bedenkt, welcher Druck damals auf jedem Maler lastete: Wer etwas werden wollte, musste sich unverwechselbar als neu und in stürmischer Entwicklung begriffen profilieren.

Geschenk des Himmels

Monet und Renoir stellten ungern mit "geringeren Künstlern" aus. Sie fürchteten, dass der schon vom Börsenkrach 1882 beeinträchtigte Markt dadurch für sie noch mehr schrumpfen könnte. Beide fanden Gauguin aggressiv und hochmütig. Die spätberufenen Autodidakten van Gogh und Gauguin waren nie Impressionisten gewesen, Gauguin galt als Störenfried, dem man vorwarf, Degas, einen der Begründer der Impressionisten-Ausstellungen, so verprellt zu haben, dass er der Ausstellung sogar einmal fernblieb.

Gauguin war 38 Jahre alt, als er Vincent kennen lernte, hatte schwere finanzielle und familiäre Probleme und wurde von denen, die den Ton angaben, nicht als zugehörig akzeptiert. Von einer Reise nach Panama kam er krank zurück. Der Kunsthändler Theo van Gogh, der Gauguin sofort drei Bilder abnahm, und das "Atelier des Südens" müssen ihm als Geschenk des Himmels erschienen sein.

Vincent van Gogh arbeitete damals intensiv an seiner Figurenzeichnung und seinen Farben, aber auch an seinem Auftreten und Äußeren und war mit einigen Malern, darunter Henri Toulouse-Lautrec, befreundet. In Gauguin sah er den kompromisslosen Wahrheitssucher, der um die Welt gereist war, ohne sein Ziel zu erreichen, den verwandten Künstler, der in das Leben der Eingeborenen, die er gemalte hatte, eingetaucht war, so wie er selbst das Leben der Brabanter Bauern geteilt hatte. Er harrte dem Treffen, das Gauguin nüchtern als zweckmäßige Unternehmung ansah, mit weit überzogenen Erwartungen entgegen.

Jeder malt den andren

Im Buch wird Gauguins Aufenthalt bei van Gogh rekonstruiert, Tag für Tag, mit einer Zuordnung aller dabei entstandenen Bilder soweit noch irgend möglich, mit Kartenskizzen, in welche die Blickwinkel eingetragen sind. Manchmal hatten sie einander bei der Arbeit im Blickfeld, manchmal malten sie Rücken an Rücken. Wie sehr ein Teil der Werke, die dabei entstanden, dialogisch aufeinander bezogen ist, wurde noch nie so deutlich dargestellt.

Um den 1. Dezember porträtierten sie einander, wenige Tage später entstanden die Selbstporträts (siehe Bilder) eines blühend aussehenden Gauguin und eines mitgenommenen Vincent. Das Drama, das darin gipfelte, dass sich van Gogh einen Teil seines rechten Ohrs abschnitt, war wohl unausweichlich, der Konflikt in den Persönlichkeiten angelegt. Mit Gauguins Abreise war der Weg zu van Goghs letzter Schaffensperiode und zu seinen intensivsten Bildern frei. Wie es zwischen ihnen weiter ging, wird üblicherweise ausgeblendet. Hier wird die Geschichte dieser Beziehung zu Ende erzählt.

VAN GOGH UND GAUGUIN. Das Atelier des Südens.

Von Douglas W. Druick, Peter Kort Zegers und Kristin Hoermann Lister.

Belser Verlag, Stuttgart 2002

402 Seiten, 350 Bilder, Ln., e 71,60

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