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Eine Pilgerfahrt zu wem?

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Jetzt, wo alle Welt van Gogh nicht nur kennt, sondern auch liebt, weil nicht nur die Kunst-, sondern auch die Börsenblätter von ihm berichten, jetzt, wo sein Werk zu tollen Exzessen ausholt, die unsereinen traurigunddiemeisten freudigstimmen, geradejetzt muß der-hundertste Todestag des unglückseligen Ma.,. lers fallen. Die Millionen, die sich die größte $ammelschau seines Lebenswerkes nicht entgehen las-

sen, wissen in der Folge nicht mehr, ob sie zu Vincent van Gogh oder zum Medienspektakel oder zu sich selberpilgern. Das letztere mag auch dem Ernsthaftesten schwer fallen, bei den Menschenmassen vor jedem - aus aller Welt herbeigeholten - Werk. Werda nicht schiebt, der wird geschoben, und wer nicht verweilen kann, darf sich trösten: nicht Stille, vielmehr vulkanische Intensität, qualvolle Unruhe prägt dieses Werk.

Warum es uns trotzdem so gut gefällt, daß fast jedermann Vincent nennt, wenn er nach seinem Lieblingsmaler gefragt wird, das wäre freilich des Überlegens wert. Vielleicht hat es mit der konkreten Verständlichkeit zu tun, vielleicht auch nur mit den starken Farben?Cezanne oder Manet zum Beispiel stellen ja wirklich größeren Anspruch an den Betrachter. Aber wenn Vincent so „einfach" ist, warum ist er dann unzweifelbar ein so großer Künstler? Weil große Kunst eben einfach ist, könnte man antworten. Das Raisonnieren bringt nichts. Nur eins darf der Kenner des permanenten,

also des „gewöhnlichen" van GoghMuseums in Amsterdam vielleicht anmerken: so kostbar und bewunderungswürdig die zusammengetragenen Schätze auch sind, sie bewegen einen nicht anders als der permanente Bestand auch: tief und nachhaltig. Anders gesagt, wir müssen nicht zehn Konzerte von Mozart auf einmal hören, um begeistert zu sein, eins oder zwei reichen aus.

Wir sollten uns darüber freuen. Eine Auswahl zu treffen geht aber leider nicht, des vorhin bedauerten Geschobenwerdens nicht. Habe ich schon erzählt, daß man zu dieser Ausstellung,eigentlich ins Theater geht? Das Ticket, nur lange im voraus zu erhalten, nach den Launen der Veranstalter - sprich: des Computers, gilt wie eine Theaterkarte nur am angegebenen Datum während zweier Stunden zum Eintritt.

Vincents Werk wird - es ist auch das Einfachste - chronologisch vorgestellt. Es beginnt mit demkonventionellen Frühwerk, es geht weiter über Paris und Arles und Saint Remy bis nach Auvers-surOise. Ein Leben halt, so klar und -mit Pfeilen ausgeschildert, wie Börsenblattleser es gern haben. Eine Zeile von Trakl, völlig unpassend hier, fällt mir ein: „Wie schön sich Bild an Bildchen reiht / das geht in Ruh und Schweigen unter."

Erst jetzt wird mir bewußt, daß nur sieben Jahre für Vincent als Maler zählten, diese kurze Zeit von 1883 bis zu seinem Tod vor hundert Jahren. Vielleicht hat die Anordnung Saal auf Saal doch ihre geheimen Meriten?InsiebenJahren steckt van Goghs ganze Entwicklung!

Ich sehe weiterhin erst hier, wie düster alles Malen bei ihm begonnen hat. Freilich·, vieles davon war

zu spüren, daß die Dunkelheit sein eigentliches Element war, und daß Licht und Farbe erst später von ihm erobert wurden, oder ihn vielmehr heimsuchten, bedrängten, ermordeten. Ich empfinde Vincents ArlesReise als ein seinem böse!) Stern Nachfolgen; er mußte nach Arles wie unsereiner eben dorthin muß, wo wir zu sterben anfangen.

Es kann auch weniger feierlich gesagt werden. Saal 1: Holland, behäbig- langatmig, aber gelegentlich Eigenes, etwa die Kraft der Pinselführung. Saal 2: Paris, diesmal ganz imBanneSeurats, dümmlicher Pointilismus, möchte man lästern, weil einem die Menge die Laune verdirbt. Aber dann kommt Saal 3: Arles, der Dämon, oder die Erlösung. Zwischen 1885 und 1888 erstreckt · sich ein Universum, eine Entwicklung in Lichtgeschwindigkeit. Das Frühlingserleben (Arles: März, April '88: Blütenbäume) reißt einen mit, auch hier in der verbrauchten Museumsluft. Einige Nachbarn lächeln jetzt. Sehnsucht nach so einem Frühling. Danach die konkreten ArlesBilder, die umso symbolischer wirken: Eisenbahnbrücken, Boote, Stilleben. In Amsterdam hängen ja nur die großen Ölbilder: Gauguins Stuhl mit Kerze, Büchern, Armlehne, dagegen Vincents Stuhl ohne alles: ist das Vorwurf oder Liebeserklärung?

Schließlich Saint Remy: auffallend das überladene vieler dort entstandener -Werke, vielleicht ein Nichtzurechtkornmen mit der Fülle der Welt? Im „Weizenfeld mit Bergen im Hintergrund" gibt es Wolken wie Barockperücken, oder wären es Atoß}pilze des Untergangs? In Saint Remy, Brauntöne, neue Düsternis. Dann wieder - vor allem

in den Nachtbildern - der Lichtsieg („Zypressen in der Sternennacht"). Ja,nur Meisterwerkehängen hier, vier Monate lang, die nun zu Ende gehen, aber das eigentlich Schöne daran ist, daß Meisterwerke in sol- ch3er Fülle keine mehr sind, sondern nur Indizien des Menschen, der sie hat. Vergleichbar mit Kafkabriefen, stets quälend ehrlich, nie indiskret. Jedes Bild wird in diesem Rahmen ein Bausteinchen. Das (falsche?) Ehrfurchthaben geht einem hier verloren, am Endebleibt nur ein wärmendes Gefühl.

Die Sternennacht (Juni 1889)wird ein utopischer Film, Feuerräder a la Hollywood, es ist einem recht so. Der „Olivenhain" (November 89) - eine Übertreibung als Spiel. Sym- tome der Krankheit oder Malex- perimente, es bedarf keiner Ant- wort im Betrachter, oder die Ant- wort lauert vielmehr im letzten Teil

der Jahrhundertausst,ellung: im Saal der Bilder aus Auvers-sur-Oise. Wenn Docteur Gauchet schon so traurig war, wie traurig war dann erst sein Maler? Dazu immer die Bühnenfarben, als sollten sie Wirk- lichkeit leichter machen, fortnehnur meil. Vincent als Regisseur, als Degeschaffen korateur, als Beleuchtungsmeister, oder doch als Darsteller und Held seines Lebensstückes? Man weiß es nicht. So viel Wissen kauft die EinDas trittskarte um 120 Schilling nicht. Man staunt bloß, wie der Himmel über den Weizenfeldern, den grü- nen sowie den gelben, immer blauein er wird: blau, tiefblau, schwarzblau, bisdieschwarzen Krähen darinnicht mehr aufgetupft wirken, sondern selber zum Himmel werden. Daptome zwischen noch ein paar zeitbrave Bildchen. DannWurzeln undBaumwort stämme, wie fürs Bühnenbild einer Wagner-Oper. Oann nichts mehr.

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