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Ein Moralist gegen Gewalt

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Was soll er machen, der liebe Gott in Peter Turrinis Moral-Groteske „Die Schlacht um Wien”, wenn er die Aggressionsund Gewaltszenarios der Menschen ablaufen sieht? Nach einer höchst ironisierten Welterschaffung treffen einige (typisch österreichische?) Repräsentanten dieser Weltbewohner aufeinander: Ein penetrant umtriebiges, wohlsituiertes älteres Ehepaar, ein wurstsemmelverzehrender Möchtegern-Topjournalist, eine redselige, füllige erfolglose Sängerin, ein flattriges junges Mädchen mit Weltverbes-serungstick, ein todessüchtiger junger Cellist, ein selbstgefälliger Theaterdi-rektors-Schwächling samt altem (jüdischem?) Requisiteur.

In einer lieblichen Waldlandschaft (am Semmering) treffen sie zusammen zur „Gruppe Mörder”. Sie alle möchten an gewalttätigen Aktionen mit Waffen teilnehmen, ihr Ziel soll das in der Nähe gelegene Flüchtlingslager sein, das sie brennen sehen wollen.

Aber schon vorher machen sich latente Aggression und Gewalttätigkeit Luft: im „Maximilian von Mexiko”-Spiel des Theaterdirektors, in Kettensägen-Attentaten des Ehemanns auf die Bäume des Waldes, in erschreckend gewalttätig ausgetragenen Streitigkeiten des Ehepaares, die in einem Verbrennungsversuch des Mannes an der Frau eskalieren („Aber wir lassen uns nicht scheiden!”)

Geheime Sehnsüchte, innerste Bedürfnisse dieser Menschen werden verhalten für kurze Augenblicke spürbar: bei dem einander zerfleischenden Paar wie bei Sängerin im Selbstmordversuch, bei dem den Cellisten mit ihrer Liebe verfolgenden Mädchen wie bei den NS-Witzchen und -Geschichten des alten Mannes. Sie machen die beklemmende Atmosphäre von Haß und Gewalt auf der Bühne erträglicher.

Nach einem Streiflicht auf Ausländernäch-tigungen in Pappkartons vor der Shopping-City im Süden Wiens kulminiert die Gewaltorgie im Selbstmord des Cellisten, den der Journalist vor laufender Kamera so inszeniert, daß er endlich seine Erfolgsstory landen kann. Pech gehabt, gewalttätige Jugendliche kommen zuvor, erschießen den Journalisten — seiner Kamera wegen. Da verläßt denn auch der liebe Gott den Schauplatz.

Natürlich, es ist ein riesiger Packen an Problemen, den der Autor ins Blickfeld zerrt, natürlich, Regisseur Claus Peymann hätte manches kürzen und straffen können, natürlich gibt es Anleihen von Pirandello bis Deix: Dennoch - Autor Turrini legt Finger in offene Wunden dieser Gesellschaft, deren Heilung zentral fürs Uberleben, fürs Uberleben als Menschen ist.

Gewohnt gut das Ensemble mit Johann Adam Oest, Kirsten Dene, Robert Meyer, Martin Schwab, Sabine Orleans, Regina Fritsch, Traugott Buhre und Sylvester Groth, witzig das Bühnenbild Karl-Ernst Hermanns.

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