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Im Orkus des Kollektivs

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ABWÄSSER. Ein Gutachten. Von Hng Loitieher. Im Verla der Arche, Zürich. 224 Seiten, Preis 14.80 sFr.

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ABWÄSSER. Ein Gutachten. Von Hng Loitieher. Im Verla der Arche, Zürich. 224 Seiten, Preis 14.80 sFr.

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Ernst von Salomon hat einst aus dem Fragebogen der Alliierten einen Nachkriegsbestseller gemacht. Er war , nicht der. erste und ist nicht der letzte, der ein Formular zum Anlaß eines Buches nahm. Verfremdung durch literarische Nahlinse, Protest durch Aufhellung des Doppelbodens technischer und amtlicher Nomenklatur, Paradoxien im scheinbar Banalen sind schon öfter dichterische Anliegen gewesen. Die Welt der Kanäle ist nicht nur den Krimi- Autoren Vorbehalten, sondern auch als poetisches Symbol geeignet, bei Baudelaire wie bei Anton Wildgans. Trotzdem ist die Idee, das Gutachten eines Inspektors der städtischen Abwasserkanäle zum Aufbau eines Buches zu verwenden, neu und originell genug, um dem Prosaerstling des 35jährigen Schweizers Hugo Loetscher die Aufmerksamkeit des Publikums zu sichern.

Das degoutante Thema wird von Loetscher mit mehr Sauberkeit behandelt als die salonfähigen Milieus von den Psychowühlern. Die gewisse sachliche Ironie der Schweizer — an Dürrenmatt und Frisch geschult — feiert in genießenswer- ten Pointen Vermählung mit der unterschwelligen Dämonie. Der anonym bleibende Abwasserinspektor versucht, sich vor der nach einem Umsturz an die Macht gekommenen diktatorischen Regierung einer anonymen Stadt mit einem umfangreichen Gutachten zu rehabilitieren. In die Schilderungen seines Berufes und der Kanalwelt strömen Episoden aus seinem Leben ein. Das Hintergründige einer kleinbürgerlichen Beamtenexistenz wird spürbar wie bei Broch und Musil. Viele Probleme werden aufgeworfen und bleiben unzersetzt wie die Stoffe an den Abwassergrobrechen hängen. Bewußt wird und bleibt dem Leser nur die sichere Existenz der dunklen Welt unter der bekannten hellen Welt. Der mehrfach zitierte Abwasserblick ist mit Recht vom Kollektiv überzeugt.

Der Protest, der zwischen den Zeilen steht, und die gärend-gur- gelnde Melancholie reichen freilich nicht aus, um diesem Buch konstruktiven Charakter zu geben. Die Biologie macht zynisch. Das Bakterium des Nihilismus wuchert im Faulschlamm. Loetscher hat vergessen, eines der größten Wunder der Versehrten Natur zu schildern: die Selbstreinigung der Gewässer mit

Hilfe der frischen Luft. Gäbe es diesen Prozeß nicht, wäre die Welt längst eine einzige, stinkende Kloake. In ihrem immerwährenden Streben nach Kreislauf und Ausgleich hat die Schöpfung jedoch die Fähigkeit, auch den ärgsten Schmutz zu verdauen und sogar noch in ein Bonum zu verwandeln und ist damit wahrhaft ein Abbild Gottes. In diesem Sinne Loetschers „Abwässer“ zu Ende zu denken ist gut. Zu Ende geschrieben hat es der Autor nicht.

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