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Alptraum Schinkensemmel

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Meine Frau und ich stehen vor der Trennung. Das ist für eine glückliche, in jeder Hinsicht gutfunktionierende Ehe etwas seltsam. Außerdem stimmt die Tatsache überhaupt nicht und die eigentliche Behauptung („Trennung”) auch nur zur Hälfte: Trenn.

Bevor ich dieses, für Sie, liebe Fur-chk-Leserinnen und -Leser - im Gegensatz zu mir - nicht allzu wichtige Geheimnis lüfte, darf ich noch für einen zweiten Irrtum sorgen: Ich trenne mich nur vom Tisch. Ich stehe -besser gesagt: sitze - vor einer, von meiner Frau verordneten Trennkost.

Seit meine Lieblingssängerin glücklicherweise nicht ihre Stimme, sondern - dank Trennkost - unzählige Kilos verlor und darüber auch ein Buch schrieb, aus dessen Tantiemen sie sicherlich kein Wurstbrot kauft, verordnete mir meine geliebte Frau Helga eine Pflicht-Trennkost (seither träume ich von der Kür einer Schinkensemmel).

Als ersten Schritt meines neuen, schinkensemmellosen Lebens drückte mir Helga eine Übersichtstabelle in die Hand, die ich seither - wie meinen Gesundheits- und Dienstpaß, meinen Notizblock-mit-Stift, Büro-, Haus- und Wohnungsschlüssel und vieles mehr - ständig bei mir trage und vor jedem Biß aufmerksam studiere. So macht das Essen wirklich Spaß und Freude, und das scheint der eigentliche (Abnehm-)Erfolg zu sein.

Meine lebens-(vor allem -mit-tel)begleitenden, gewissensbohrenden Fragen lauten seither nicht so sehr, ob ich dies oder das essen, sondern ob ich das oder dies miteinander kombinieren darf. Allein durch meine psychische Vorbereitung auf die Trennkost verliere ich nicht nur meine Lust auf Schinkensemmel, sondern auch einige Dekagramm.

Obwohl ich erst in der Vorbereitungsphase stecke, sehe ich jetzt schon eine drohende Gefahr aufsteigen: meine Nahrungsmittelvereinsamung (für einen Soziologen eine Horrorvision).

Genauso wie man Menschen, die sich trotzdem lieben, voneinander nicht trennen sollte, ist es verantwortungslos, Nahrungsmittel, die mich jahrzehntelang in trauter Gemeinschaft nervlich stärkten und kreislaufmäßig schwächten, gewaltsam und roh (oder auch gekocht) ausein-anderzureißen.

Wo bleibt, so frage ich meine links-grünalternativen Bewunderer, die „politische Korrektheit” der heutzutage pflichtmodernen „Sozialisation” (zum Beispiel der Semmel mit dem Schinken), oder ist es wirklich notwendig, die Kartoffel vom Schnitzel zu emanzipieren?

Übrigens: Ich habe eine neue Lieblingssängerin!”

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