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Märchen für Erwachsene

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Eine schwierige Aufgabe hat sich die Bayerische Staatsoper mit der „Geschichte von Aucassin und Nicolette“ von Günter Bialas, nach einer Chantefable aus dem 13. Jahrhundert von Tankred D o r s t, gestellt. Das Werk wurde entwickelt aus einem Puppenspiel, das in München schon einmal große Beachtung gefunden hatte. Daraus, sowie aus Originalliedem des frühen Mittelalters ist das Handlungsgerüst aufgebaut: Der französische Grafensohn Aucassin liebt Nicolette, eine Mohrin. Es entstehen Konfliktsituationen, die gleichzeitig eine reiche Skala aktueller Problemstellungen enthalten. Um sich an seinem Vater zu rächen — der einer Verbindung mit Nicolette wenig Verständnis entgegenbringt —, flieht Aucassin nach „Torelore“ — in die verkehrte Welt. Aber durch diese Flucht verliert er Nicolette, sie wird ihm geraubt, sein Haß zeitigt keine Früchte. Wie das aber im Märchen so der Brauch ist, kommt das Happy-end wie das Amen in der Kirche. Die Partitur ist grundsätzlich zwölftönig durchkomponiert, es kommt aber auch, in geschlossenen, liedhaften Formen, zu durchaus tonalen Passagen.

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Eine schwierige Aufgabe hat sich die Bayerische Staatsoper mit der „Geschichte von Aucassin und Nicolette“ von Günter Bialas, nach einer Chantefable aus dem 13. Jahrhundert von Tankred D o r s t, gestellt. Das Werk wurde entwickelt aus einem Puppenspiel, das in München schon einmal große Beachtung gefunden hatte. Daraus, sowie aus Originalliedem des frühen Mittelalters ist das Handlungsgerüst aufgebaut: Der französische Grafensohn Aucassin liebt Nicolette, eine Mohrin. Es entstehen Konfliktsituationen, die gleichzeitig eine reiche Skala aktueller Problemstellungen enthalten. Um sich an seinem Vater zu rächen — der einer Verbindung mit Nicolette wenig Verständnis entgegenbringt —, flieht Aucassin nach „Torelore“ — in die verkehrte Welt. Aber durch diese Flucht verliert er Nicolette, sie wird ihm geraubt, sein Haß zeitigt keine Früchte. Wie das aber im Märchen so der Brauch ist, kommt das Happy-end wie das Amen in der Kirche. Die Partitur ist grundsätzlich zwölftönig durchkomponiert, es kommt aber auch, in geschlossenen, liedhaften Formen, zu durchaus tonalen Passagen.

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Tankred Dorst ist ein vortrefflicher Literat und Günter Bialas ein geistreicher, stilistisch versierter Komponist; aber die Gedanken- und Ideenfülle dieses Stückes droht die Handlung zu ersticken. Bialas hat etwas gewollt, was einfach nicht realisierbar Ist: Er wollte die Summe theatralischer Mittel gebündelt auf die Bühne tragen und dort nach Herzenslust ausbreiten. Sein Stück ist lyrisch und ironisch zugleich, es bietet Gesang und Tanz, Komik und Traurigkeit, es bedient sich mittelalterlicher Poesie, übt Gesellschaftskritik, spricht das Generationsproblem an, richtet den Zeigefinger auf die Mohrin und meint damit die Rassenfrage, erhebt Anspruch auf Weltverbesserungsabsichten und schielt dabei fortwährend auf die Form des Musicals — das ist des Guten doch zuviel! Was in Stra-winskys „Geschichte vom Soldaten“ — und das ist ja der Ausgangspunkt der Konzeption des Komponisten Bialas — als radikale Absage an die Form der spätromantischen und expressionistischen „Großen Oper“ noch von elementarer Kraft gezeichnet war, wird hier zu einer artiflziel-len Melange aus Persiflage und Antipersiflage.

s nssnaupae/io^i aagnilDrißV* nse Die Wiedergabe war hingegen exzellent. Ingeborg Hallstein (Nicolette), Hons Wilbrinfc (Aucassin), Karl Christian Kohn (Garin von Beau-caire), Hans Günter Nöcker (Vizegraf), Lilian Benningsen (Cirage), Georg Paskuda (König Karthago) und die drei Spielmacher: Friedrich Lenz, Raimund Grumbach und Kieth 'Engen (die an ihrem Torelore-Dasein mehr Freude zu haben scheinen als das Publikum) singen ihre äußerst differenzierten Partien mit einer Selbstverständlichkeit, als sei's ein Stück des Herrn Ditters von Ditersdorf. Regisseur Dietrich Haugk lenkt das Geschehen mit viel Geschick (und einigen Drückern) in Richtung Kammer- oder Miniatur-Musical. Der Dirigent Matthias Kuntzsch dürfte sich mit dieser Einstudierung endgültig den Ruf erworben haben, der ihm längst zusteht,

nämlich ein Gewinn für Münchens Oper zu sein (wie er die sehr kom-lizierte Partitur bis in die letzten Verästelungen hinein beherrscht, ist beispielhaft). Bühnenbildner Günter Schneider-Siemssen hat seine Salzburger Marionettentheatererfahrungen auf die Bühnendimensionen des Cuvillies-Theaters umsetzen können und in Annelies Corrodi stellte sich eine Kostümbildnerin von außergewöhnlicher Phantasie in München vor. Nicht zu vergessen das kammermusikalisch besetzte Bayerische Staatsorchester, das seiner Freude an zeitgenössischer Musik an diesem Abend huldigte.

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