6796521-1971_13_07.jpg
Digital In Arbeit

Diktatur der Diktaturmüden

19451960198020002020

Sechs Millionen im Inland lebende und 400.000 aus politischen oder wirtschaftlichen Gründen in den benachbarten Libanon emigrierte Syrer wählten — zum ersten Male seit der Unabhängigkeitserklärung von 1943 — in gleicher, freier und geheimer Wahl ihr Staatsoberhaupt. Einziger Kandidat war der im November durch einen Militärputsch zur Macht gelangte amtierende Ministerpräsident Generalmajor Hafis El-Asad („Der Löwe”). Er erhielt 99,2 Prozent aller abgegebenen Stimmen.

19451960198020002020

Sechs Millionen im Inland lebende und 400.000 aus politischen oder wirtschaftlichen Gründen in den benachbarten Libanon emigrierte Syrer wählten — zum ersten Male seit der Unabhängigkeitserklärung von 1943 — in gleicher, freier und geheimer Wahl ihr Staatsoberhaupt. Einziger Kandidat war der im November durch einen Militärputsch zur Macht gelangte amtierende Ministerpräsident Generalmajor Hafis El-Asad („Der Löwe”). Er erhielt 99,2 Prozent aller abgegebenen Stimmen.

Werbung
Werbung
Werbung

Es war kein Gegenkandidat zugelas- sen, der Stimmzettel zeigte neben dem Porträt des von vornherein feststehenden Siegers nur zwei Kreise für „Ja” oder „Nein” und viele Wahlberechtigte gaben ihren Stimmzettel offen (!) ab. Kenner der Verhältnisse zweifeln dennoch nicht daran, daß der neue Präsident sich auf das Vertrauen der überwiegenden Bevölkerungsmehrheit stützen kann. Hauptbeweis dafür ist die Tatsache, daß man auch den Emigranten das Stimmrecht zugestand, obwohl ihr Votum das Wahlergebnis nicht unwesentlich hätte beeinflussen können. Für die in Beirut lebenden Syrer waren Wahllokale an den libanesisch-syrischen Grenzkontrollstellen eingerichtet worden. Das hohe Ergebnis für El-Asad wird in politischen Kreisen darauf zurückgeführt, daß die Araber zur Glorifizierung des gerade herrschenden Machthabers neigen, aber auch darauf, daß El-Asad in dem seit seinem Staatsstreich verflossenen halben Jahr unbestreitbare innen- und außenpolitische Erfolge aufzuweisen hatte. , El-Asad hat im Spätherbst 1970 das nach rund sechsjähriger Herrschaft völlig abgewirtschaftete, linksextreme Ba’as-Regime abgelöst. Die promarxistische Gewaltpolitik der Führungstroika (Dschedid, El-Atassi, Zuaijjin) hatte die wirtschaftlichen

Reserven total ausgeschöpft, die Gefängnisse in überfüllte Konzentrationslager für politische Gegner verwandelt, eine Atmosphäre permanenter Furcht und Unsicherheit erzeugt und das Band außenpolitisch völlig isoliert. Der ehemalige Ba’as- Generalsekretär Salach Dschedic war ein machthungriger Berufsrevolutionär ohne Sinn für die politische, wirtschaftliche und sozial« Realität. Staats- und Ministerpräsi dent Dr. Nureddin El-Atassi war in seiner Hand nur eine willfährige Marionette.

Der aus dem Städtchen Kerdecha bei dem Kriegs- und Handelshafen La- takia stammende Kleinbürgersohn El-Asad verdankte seinen Posten als Verteidigungsminister seiner Machtstellung als Oberbefehlshaber der Luftwaffe. Außerdem war auch er Anhänger der religiösen Minderheit der Alauiten, die seit 1966 alle politischen Führungsposten gegen den Widerstand der schadtischen und sunnitischen Moslems und der syrischen Christen unter sich aufteilten. El-Asad verhinderte zwar das Gelingen eines Staatsstreichversuches des drusischen Obersten Batum, aber auch den Einsatz der Luftwaffe und der Eliteregimenter im Sechstagekrieg gegen Israel. Im vorigen Herbst verweigerte er den Einsatz seiner Luftwaffe im jordanischen Bürgerkrieg und erzwang den Rückzug der nach Jordanien „eingesickerten” Panzer- und Infanterieeinheiten. Schließlich entzog er den Palästina- Freischärlern die Unterstützung.

Im November stürzte er dann die Regierung, und was zunächst nur eine der gewohnten arabischen Militärdiktaturen zu sein schien, erwies sich bald als ein Regime, das die Übereinstimmung mit einer Bevölkerungsmehrheit suchte. Es kam zu einer lautlosen Amnestie, zum politischen und militärischen Rückzug von der Palästinafront, zur Wiederannäherung an die anderen progres- sistischen arabischen Regimes in Ägypten, Libyen und dem Sudan, zum Ausgleich mit den Regierungen in Beirut, Er-Riad und Tunis, zur Reparatur der „Trans-Arabischen Pipeline” (TAP) und zu inneren Reformen. El-Asad ernannte ein 160 Abgeordnete starkes Parlament, zwar mit baasistischer Mehrheit, aber mit Abgeordneten aller Parteien. Die direkte Präsidentenwahl ist der vorläufig letzte Versuch, eine politisch, wirtschaftliche und sozial progressiistische, gemäßigte Regierung durch ein Mandat der Bevölkerung abzusichem. El-Asad möchte als vom Volk gewählter „demokratischer Diktator” seinem Land den Weg ins zwanzigste . Jahrhundert freikämpfen. Er dürfte das Ministerpräsidentenamt beibehalten und durch die Bildung einer neuen Regierung versuchen, die divergierenden innenpolitischen Kräfte in die politische Mitverantwortung einzubeziehen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung