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Ein Richterstaat?

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Schon Ende der fünfziger Jahre hat mein unvergeßlicher Freund und Mentor Rene Mar-cic, dessen 20. Todestag sich heuer jährt, das Thema „ Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat" angeschlagen und eine lebhafte Diskussion ausgelöst. Marcic befürwortete die Verlagerung von der politischen Macht der Gesetzgebung zur rechtssprechenden der Justiz und neigte dazu, den Richter als Typus zu idealisieren, jedenfalls aber zu überfordern.

Wie immer man zu der von Marcic propagierten Tendenz stehen mag, sie ist als solche zu identifizieren und mit Aufmerksamkeit zu verfolgen.

Gerade Entwicklungen der letzten Zeit in unserem Lande geben Anlaß, auf die These von Marcic zurückzukommen und sie bestätigt zu finden.

Durch seine Entscheidungen über das Pensionsalter von Mann und Frau und über die Ruhensbestimmungen hat der Verfassungsgerichtshof nicht nur Recht gesprochen, sondern auch Politik gemacht und Weichen für die Zukunft gestellt. Und die Justiz hat sich auch der heiklen Aufgabe, die Politik vors Strafrechtstribunal zu zerren, wo es das Fehlverhalten von Politikern erfordert, nicht entzogen, sondern gestellt.

Auch dies ist natürlich eine Form der politischen Ingerenz, die tief in das Gefüge unseres öffentlichen Lebens und Bewußtseins eingreift.

Selbst wenn man kein Anhänger des Marcicschen Richterstaates ist, sondern an und für sich für den Vorrang der Politik und Gesetzgebung gegenüber der Justiz eintritt, wird man der Gerichtsbarkeit keinen Vorwurf machen und in ihren Eingriffen keine Übergriffe erblicken können. Denn es wäre Sache der Gesetzgebung gewesen, rechtzeitig für verfassungskonforme und praktikable Lösungen anstehender Probleme Sorge zu tragen (FURCHE 50/1990).

Wenn der Gesetzgeber nicht auf der Höhe der Zeit ist, muß er es sich gefallen lassen, daß ihn die Rechtsprechung an seine Pflicht erinnert und deren Erfüllung einmahnt. Wenn Politiker ihre Grenzen nicht kennen und mit dem Gesetz in Konflikt kommen, darf man nicht der Justiz die Schuld geben, die den Standard wiederherstellen muß, dessen Einhaltung ein Akt der Freiwilligkeit und Selbstverständlichkeit sein sollte.

So schön und gemütlich der Wiener Spruch „Mir wem kan Richter brauchen" auch klingen mag: Er findet in der rauhen Wirklichkeit und Gegenwart keine Bestätigung, im Gegenteil:

Wir brauchen Richter, die zur Ersatzvornahme schreiten, wo die Politiker säumig und in Unrecht verstrickt sind.

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