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Härte und Härte

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Noch bevor das Verfassungsgericht in Ankara auf Antrag des langjährigen früheren Staats- und Ministerpräsidenten und Fraktionschefs der „Republikanischen Volkspartei“ in der großen Nationalversammlung, Ismet Inöhü, darüber entscheiden konnte, ob die ersten drei von der Militärgerichtsbarkeit rechtskräftig zum Tod verurteilten Terroristen zu lebenslänglichen Haftstrafen begnadigt oder durch den Strick gehenkt werden sollten, schlug die tot-geglaubte Guerillabewegung wieder zu. In dem Küstenstädtchen Unye in der an der Schwarzmeerküste gelegenen Provinz Ordu entführten linksradikale Studenten drei britische Techniker, die in einer NATO-Radarstation Dienst taten. Die Kidnapper, zwei von ihnen konnten als bereits abgeurteilte und durch einen unterirdischen Tunnel aus dem Istanbuler Militärgefängnis entkommene Studenten identifiziert werden, entkamen.

Bei ihrem „Gegenschlag“ in Unye hatten die Entführer leichtes Spiel. Die dortigen Behörden und die

NATO-Sicherheitsbehörden waren offenkundig nicht auf einen solchen Überraschungscoup vorbereitet. Zu dem Landstädtchen führen nur wenige passierbare Wege. Es ist von wilder Bergeinsamkeit umgeben, wo es kaum menschliche Absiedlungen gibt. Das Entführungskommando war nach Einbruch der Dunkelheit in eine von zehn NATO-Technikern und ihren Familienangehörigen bewohnte Villa eingedrungen und hatte deren Bewohner eine ganze Nacht lang mit Waffengewalt in Schach gehalten. Im Morgengrauen verschwanden sie mit drei der Techniker in einem britischen Geländewagen.

Gemäßigte politische Kreise in der türkischen Hauptstadt befürchteten jetzt eine erneute Zunahme des Terrors der Guerillagruppen und des Gegenterrors des Militärregimes. Als Hauptursache dafür erwähnten sie die trotz spürbarer Entspannung der innerpolitischen Lage in den letzten Monaten beibehaltene Härte der Militärgerichtsbarkeit gegen inhaftierte Terroristen. Obwohl fast zweitausend prominente Persönlichkeiten aller Parteien und des öffentlichen und zivilen Lebens, darunter auch hohe Richter und zwei ehemalige hohe Offiziere, schon im Jänner in einer an Staatschef und Parlament gerichteten Petition die Aufhebung der Todesstrafe für politische Verbrechen verlangt hatten, blieben die Militärgerichte bei ihren harten Urteilen. Bei den erwähnten drei Delinquenten bestätigten sämtliche Revisionszüge die erstinstanzlich ausgesprochene Todesstrafe.

Nachdem bereits beide Häuser der Nationalversammlung dem Antrag der Regierung entsprochen hatten, den seit April vorigen Jahres in elf der 68 Provinzen des Landes aufrechterhaltenen Ausnahmezustand um weitere zwei Monate zu verlängern, glauben politische Beobachter in Ankara nicht, daß sich die für die Ruhe und Sicherheit verantwortlichen Militärgouverneure von wem immer zu einer versöhnlicheren Gangart zwingen lassen. Die Schreckenstat von Kizildere kann die Fronten nur verhärten. Das Ergebnis: Weiterhin suspendierte Demokratie in einem Land, das einst ein Hort der Demokratie war.

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