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Kistendeckel, Blech und rostige Nägel...

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Jahrelang hat er in Wien, in der Liechtensteinstraße, in aller Stille gearbeitet. Nur ein paar Kenner wußten von Zbynek Sekal und seiner Arbeit, von seinen eigenartigen Objekten. Und er, ein Künstler der Stille, ein Einsamer zwischen seinen Sammlungen von allerhand Materialien, hat sich wohl auch nie nach spektakulären Erfolgen gesehnt. Mit wahrer Besessenheit sammelte er und sammelt er noch Alles im Garten“, dieses eigentlich von dem Engländer Giles Cooper stammende und von Edward Albee ins Amerikanische verballhornte Stück über die den Lebensstandard hebende Vermarktung der Ehefrauen als Callgirls, hat mit der üblichen Verspätung nun auch Graz erreicht. Die Verspätung ist hauptsächlich deshalb zu bedauern, weil die Thematik der konsumorientierten Käuflichkeit in der Zeit einer sich ganz sachte abzeichnenden Tendenzwende nicht mehr griffig genug für ein modernes Theater ist, das sich doch eigentlich mehr der Prophezeiung als der Registrierung verpflichtet fühlen müßte.

Aber wie die - motivisch an Pinter und Dürrenmatt anklingende - Geschichte von der Amateurprostitution wohlstandsbürgerlicher Hausmütterchen im Grazer Schauspielhaus (Inszenierung: Günther Tabor) gebracht wird, das hat viel für sich. An Stelle einer harten Brandmarkung in grobem Realismus bedient sich die Regie geradezu hinterlistig der unverbindlichen Glätte des Boulevardstückes. Von diesem pariserischen Untergrund aus platzt die moralische Anstalt viel wirkungsvoller ins Bewußtsein des amüsierten Zuschauers als über das Vehikel greller naturalistischer Eindeutigkeit Lotte Marquardt schaift virtuos den psychischen Umschwung ihrer Jenny, und Peter Uray trifft den durchschnittsamerikanischen Parzi-val ihres Gatten nicht minder hervorragend. Insgesamt: ein Gruppenbild mit Damen von geradezu perfider Treuherzigkeit.Messingplatten, rostige Nägel, Kistendeckel. Daraus komponiert er neue Objekte, in denen Relikte zu neuen „Verhältnissen“ zusammengespannt werden: Kompositionen aus Fundstücken. Verschraubte Platten suggerieren einen „Tresor“, poliertes Messing wird zum „Harnisch“ verformt, schön patinierte Lederstreifen komponiert er etwa zu seinem prächtigen Materialbild „Tarnopol“.

Sekal ist ein subtiler Arrangeur alter Fundstücke, mit ungewöhnlichem Materialgespür. Einer, der mit einer seltsamen Leidenschaft fürs Handwerkliche seine Werkzeuge ansetzt. Die Ausstellung im Wiener Museum des 20. Jahrhunderts (bis 29. Jänner) beweist, wie er sich vom Fluidum dieser Fragmente und Bearbeitungsgeräte faszinieren läßt.

Natürlich sind Sekals Arbeiten nicht von jener Tradition zu trennen, die seit Dadas Tagen das Gefundene ins Zentrum aller künstlerisch-philosophischen Überlegungen stellt, die sich vom Gebrochenen, vom Kaputtgehenden, von vereinsamt Liegengebliebenem zu neuen Kompositionen inspirieren lassen. Sekal, ein Anfangfünfziger, stammt aus Prag, aus einer konservativen Bankbeamtenfamüie. 1941 wurde er, der gegen die deutsche Besetzung der Tschechoslowakei durch Eintritt in eine illegale Jugendvereinigung protestierte, ins Konzentrationslager Mauthausen verschickt. Er hatte Glück, im Unterschied zu vielen seiner Leidensgenossen lernte er dessen Schrecken weniger kennen.

In den fünfziger Jahren trat Sekal mit der Gruppe „Maj“ in Prag und Warschau hervor. Intensive Beziehungen zu Österreich ergaben sich bald: Karl Prantl vermittelte eine Einladung zu Kurt Ohnsorgs Gmundener Keramiksymposion. Der Weg nach Wien wurde zum Ausweg.

Seit 1970 lebt Sekal hier. Kurze Versuche, sich in Deutschland zu aklima-tisieren, zu leben, zu arbeiten, schei-' terten. Wiens Atmosphäre war weniger fremd, die Arbeitskonditionen entsprachen ihm eher.

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