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Populistischer „Minicäsarimus"

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Unter dem Stichwort Personalisierung wird auch die Direktwahl von Bügermeistern und Landeshauptleuten betrieben. Wer aber dem „Minicäsarismus" Vorschub leistet, bringt das „Gebäude der Verantwortlichkeit" im demokratischen Stufenbau zum Einsturz.

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Unter dem Stichwort Personalisierung wird auch die Direktwahl von Bügermeistern und Landeshauptleuten betrieben. Wer aber dem „Minicäsarismus" Vorschub leistet, bringt das „Gebäude der Verantwortlichkeit" im demokratischen Stufenbau zum Einsturz.

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1. Wenn Spitzenorgane der Vollziehung ebenso direkt gewählt werden wie Volksvertretungen, ergibt sich das große Problem: Organe der Vollziehung und Organe der Gesetzgebung berufen sich gleichermaßen auf eine unmittelbare demokratische Legitimation. Daraus ergibt sich der ständige Konflikt und die Frage: Wer ist „besser und demokratischer" legitimiert?

2. Das parlamentarische Regierungssystem verlangt, daß die Spitzen der Vollziehung des ständigen Vertrauens der Volksvertretung bedürfen und ihr auch ständig verantwortlich sind. Ein direkt gewähltes Exekutivorgan hat nicht direkt das Vertrauen der Volksvertretung. Es ist ihr noch weniger verantwortlich und kann von ihr weniger verantwortlich gemacht werden als bisher. Wahlmonarchen sind kaum von einem Kollegium verantwortlich zu machen, das sie nicht gewählt hat oder sie nicht abberufen kann. Die Frage der Verantwortlichkeit und Kontrolle ist schlechter gelöst als derzeit.

3. Schon längst sind Gemeinderatswahlen Bürgermeisterwahlen, Landtagswahlen Landeshauptmannwahlen und Nationalratswahlen Kanzlerwahlen geworden. Gerade diese Entwicklung sollte nicht dazu verführen, die Direktwahl zu normieren. Man zer-

schlägt das parlamentarische Regierungssystem mit seinen Vertrauensund Verantwortlichkeitsbezügen dann geradezu durch die Verfassung selbst.

4. Die Stärkung leitender oberster Organe der Vollziehung durch Direktwahl bedeutet eine Schwächung der Volksvertretung. Diese Schwächung ist umso deutlicher, je deutlicher in der Volksvertretung politische Vielfalt besteht. Der direkt Gewählte kann sich auf den Majorz berufen. In der Volksvertretung gilt der Proporz und damit der Pluralismus. Der direkt Gewählte kann sich als über den Parteien stehend darstellen, die Volksvertretung stellt in der Praxis die Parteien dar. Antidemokratische Unterströmungen und vulgärdemokratische Überströmungen werden aktualisiert. Sie fließen in die Richtung der Einzelperson. Diese kann sich plebiszitär auf einen „einheitlichen Volkswillen" ausreden, während die Volksvertretung immer die Wirklichkeit der Gegensätze und Widersprüche offenbart.

Demagogie und Populismus

5. Jeder Wahlmonarch verhüllt die Tatsache, daß das Volk nicht nur gemeinsame, sondern auch unterschiedliche und gegensätzliche Interessen hat. Er kommt der Illusion der „Harmonie in Einheit", der Konfliktscheue und einer Untertanen- und Obertanen-Mentalität entgegen. Daß das Aleatorische und Showmäßige der Politik durch die Direktwahl bestärkt wird, soll nicht bestritten werden. Arbeitsfähige Regierungssysteme und Mehrheiten werden dadurch nicht erleichtert.

6. Auch ein direkt gewähltes Vollzugsorgan kann nur mit Mehrheit im Beschlußorgan regieren. Ohne Mehr-

heit bleiben die besten Konzepte ohne Konsequenz. Da in der Volksvertretung leicht eine andere Mehrheit besteht und das Exekutivorgan Beschlüsse der Volks vertetung vollziehen muß, fordert ein solches Amt geradezu zu Demagogie und Populismus heraus. Das Vollzugsorgan wird für alles, was es tut, unterläßt oder duldet, Rechtfertigungen, Entschuldigungen und Ausreden gegenüber dem Volk haben.

7. Politische Entscheidungen können heute nur im Wege der Kooperation und Integration gefällt werden. Gerade aber die Volkswahl von Einzelpersonen führt dazu, daß sie isoliert gestärkt werden und die Zusammenarbeit geschwächt wird. Einem „Minicäsarismus" und „Minibona-partismus" wird so Vorschub geleistet und leicht ein personalplebiszitär legitimierter Egoismus erreicht.

Der Stufenbau des Demokratischen Vertrauens vom Volk über die Volksvertretung zum Vollzugsorgan wird niedergerissen. Damit aber auch das Gebäude der Verantwortlichkeit, das die Bundesverfassung errichtet hat.

Weder die Entscheidungs- noch die Integrationskapazität wird durch diese Reform gestärkt. Die Regierungsfähigkeit wird geringer, ohne daß die Kontrollfähigkeit des Systems größer würde. Sozialpsychologisch bestehen Gefahren: Antiparlamentarische und demoautoritäre Strömungen erhalten Auftrieb in einer Gegenaufklärung, die sich publizistisch wirksam zu organisieren versteht.

Wo bleibt eine Demokratiereform, die mehr und besseren Parlamentarismus und Partizipationen bringt?

Der Autor ist Professor für Rechtslehre, Prärektor der Universität für Bodenkultur und Dritter Präsident des Wiener Landtages a. D.

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