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Solonummer mit Lehnstuhl

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Sollte zwischen der Commedia dell' arte und einer Posse mit Gesang von Nestroy nicht ein Unterschied bestehen? Das sind zwei völlig verschiedene Bereiche des Theatralischen mit je gänzlich anders gearteten Ausdrucksmitteln. Und doch entsteht in der Aufführung von Nestroys „Talisman“ bei den Salzburger Festspielen im Landestheater unter der Regie von Otto Schenk eine Verlagerung des Spiels zur Commedia dell'arte hin.

Es heißt, Schenk sei unter Ausnahmsbedingungen, die es nirgendwo gebe, eine Wunschbesetzung bis in die kleinste Rolle möglich gewesen. Was er bietet, wollte er also bis ins letzte. Nun spielt Helmut Lohner den Titus Feuerfuchs, ein Schauspieler, der sich mit merkbarer Vorliebe mehr und mehr dem gestischen Spiel ergibt. Als Titus setzt er das Wendige dieser Gestalt immer wieder in jähe, fast blitzartige Bewe-

gungen der Hände, Arme und Beine um, wobei er typische Nestroy-Stellungen einnimmt.

Ja, er kriecht — unvorgeschrie-ben — unter einen Tisch, er führt mit einem Lehnstuhl ein akrobatisches Kunststück auf, verstrickt sich mit den Beinen in ihm, fällt damit um; es wird eine Solonummer daraus. Jubel des Publikums. Aber die großartig geschnittene Schärfe des Nestroy-Wortes, das „Bonmotistische“, wie es in Bäuerles Theaterzeitung hieß, im Aufbegehren gegen das Vorurteil wider die roten Haare, in der Karrieresucht, geht allzusehr verloren, wird stärker nur in den Couplets spürbar, deren treffliche Zusatzstrophen von Werner Schney-der stammen.

Ergreifend wirkt Christine Oster-mayer als die rothaarige Gänsehüterin Salome Pockerl. Sie ist in aller Bescheidenheit so ganz dieses herzensgute, ausgestoßene Geschöpf, das im ersten Aufzug ihr Duliöh unter Tränen singt. Später freilich muß sie steif wie ein Stock der von Senta Wengraf dezent gespielten Kammerfrau Constantia ohnmächtig in die Arme sinken. Schade. Und Vilma Degischer gibt's als Frau von Cy-pressenburg, Dolores Schmidinger gar spielt ihre Tochter als überaus komischen Trampel. Jubel des Publikums. Mag Christine Hörbiger das erweckte und dann enttäuschte Mannsgelüst der Gärtnerin verdienstvoll ebensowenig übersteigern wie Hannes Siegl die Gestalt des

„Marquis“, so übersteigert dagegen Heinrich Schweiger den Bierversil-berer in Haltung und Gesichtsausdruck.

Der Regisseur selbst enthält sich als Darsteller gänzlich hier unangebrachter Commedia-deH'arte-Mittel. Er spielt den Gartengehilfen Plutzerkern lächelnd boshaft, in behäbiger Breite und wird dadurch optisch und dem Wesen nach ein voller Gegen-

satz zur heftigen Gestik Lohners. Jürgen Rose bietet Bühnenbilder in nobel gedämpften Farben — vorwiegend kreidiges Weiß und zartes Grün — und entwarf spätbieder-meierliche Kostüme. Die von Gerhard Wimberger eingerichtete Musik Adolf Müllers überdeckt in den Couplets mitunter das Wort. Es gibt immer wieder Szenenapplaus.

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